Aldebaran
essen«, hatte sie gesagt und ihm tief in die Augen geschaut.
Sie wandte sich lauthals an den einzigen Gast, der zu Tisch saß. »He! Renato, sind meine Nudeln etwa nicht gut?«
»Das will ich meinen. Besser als zu Hause. Das stimmt!«, fügte er an Diamantis gerichtet hinzu.
»Sehen Sie, er sagt es auch! Hier, setzen Sie sich.« Sie setzte Diamantis an einen Tisch neben Renato. Der Letzte, der noch gedeckt war. Sie verschwand in den hinteren Räumen. »Diese Lieder sind schön«, sagte Renato. »Sie erinnern mich an meine Heimat.«
Die Wirtin kam mit einer Karaffe Rosé und einem Eiskübel zurück und stellte beides vor Diamantis hin. »Acht Minuten. Sie müssen erst gar werden. Geht das?«
»Ich habe reichlich Zeit.« Er nahm sich Zeit. Die Nudeln waren köstlich.
Auf dem Rückweg hatte er bei Toinou vorbeigeschaut, um den Whisky zu holen. Seine Tochter Mariette stand hinter der Theke.
»Er ist zur Untersuchung«, sagte sie. »Wegen seinem Herz. Das schiebt er seit Monaten raus. Na ja, heute Morgen hat meine Mutter ihm keine Ruhe gelassen.«
»Hätte er es mir doch gesagt, ich hätte ihn vertreten.«
»Das ist lieb, Diamantis. Aber es geht schon … Ich hatte heute Nachmittag keinen Termin. Die Arbeit läuft eher ruhig im Moment. Es ist Sommer … Und dann will keiner mehr kaufen. Das heißt, jedenfalls nicht in der Stadt. Sie wollen alle aufs Land oder ans Meer.«
»Ans Meer? Aber das ist doch hier, oder?«
Mariette lächelte. Zwei Grübchen blitzten in ihrem Gesicht auf, wenn sie lächelte. Ein fast rundes Gesicht umrahmt von einer Masse hellbrauner, lockiger Haare. Ein hübsches Gesicht.
»Ja, schon … Aber das Meer, das liegt in Richtung Cassis. La Ciotat. Oder Lecques. Oder auf der anderen Seite. Ein gutes Stück hinter L’Estaque. Hier ist der Hafen, verstehen Sie, nicht das Meer … Und die Strände sind fürs einfache Volk, aus den Vierteln im Norden kommen sie hierher. Die Leute gehen da nicht besonders gern hin …« Sie lächelte wieder. »Oh! Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll!«
»Ich verstehe schon.«
»Möchten Sie ein kleines Bier?«
Sie schenkte sich auch eins ein. Diamantis bot ihr eine Zigarette an. Sie schwiegen ein paar Minuten. Tranken und rauchten. Manchmal begegneten sich ihre Blicke, um dann zu ihrem Glas zurückzukehren oder auf den Platz, wo einige Leute aus der Nachbarschaft saßen. Ein Rentnerpaar ließ sich auf der Terrasse nieder.
»Ich komme gleich wieder«, sagte sie zu Diamantis.
Er sah ihr nach. Sie war gut gebaut, etwas füllig vielleicht, aber dennoch ein Augenschmaus. Sie hatte etwas von den Frauen, die Botticelli malte. Voller Rundungen.
Dabei fiel ihm auf, dass er immer nur eine Schwäche für schmale, hoch gewachsene Frauen gehabt hatte. Sogar unter den Nutten wählte er die schlanken, egal, in welchem Land.
Nachdem sie das Paar bedient hatte – ein frisches Alster und eine Erdbeerlimonade –, setzte Mariette sich wieder auf ihren Barhocker hinter der Theke. Sie steckte sich noch eine Zigarette an. Mit leicht gesenkten Augen fragte sie: »Sagen Sie, hätten Sie Lust, mich morgen zu begleiten, wenn ich Kunden ein Haus zeige? Es ist in Ceyreste, nicht weit von La Ciotat.«
Sie hielt inne, eingeschüchtert von dem Vorschlag, den sie Diamantis soeben gemacht hatte. Ihr Herz begann zu schlagen. »Das heißt, ich meine, wenn Sie nichts Besseres zu tun haben. Wenn es Ihnen passt, eben.«
Ihre Blicke begegneten sich, und Mariette errötete.
»Morgen? Warum nicht. Ich kenne die Umgebung überhaupt noch nicht.«
»Wirklich?« Sie beruhigte sich wieder. Aber sie konnte Diamantis nicht mehr aus den Augen lassen. Der Typ gefiel ihr.
»Nicht mal Cassis?«
»Nicht mal das.«
»Wenn Sie wollen, halten wir dort an. Das heißt, natürlich nur, wenn wir die Zeit haben.«
»Einverstanden.«
»Klasse!«, rief sie begeistert.
Diamantis hatte eigentlich ablehnen wollen. Aber er hatte nicht gewusst, wie. Sie hatte so lieb gefragt. Außerdem verwirrte Mariette ihn. So was hatte er ganz vergessen. Die Verwirrung, die der Blick von Frauen stiftet. Er wusste nicht, wie Toinou es auffassen würde, wenn er mit seiner Tochter spazieren fuhr. Mein Gott!, dachte er, was heckst du schon wieder aus! Sie hat dich nicht gebeten, mit ihr zu schlafen. Nur sie zu begleiten. Weil du nichts Besseres zu tun hast …
»Einverstanden«, wiederholte er.
»Wir treffen uns gegen zehn. Ja, zehn Uhr ist gut. Ich habe meinen Kunden einen Termin für elf Uhr gegeben. Da bleibt uns
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