Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
vielleicht nicht in der Verfassung, ihm seinen Respekt zu erweisen.«
Der König erschien auf Alejandros Aufforderung beinahe sofort. Obwohl er begierig war zu hören, was sich in der Außenwelt abspielte, waren die Geschichten, die Matthews zu erzählen hatte, nicht ermutigend. »Überall verlassene Hütten, Sire«, berichtete Matthews. »Die Kornfelder sind nicht abgeerntet und werden verfaulen, wenn sich keiner darum kümmert. Doch die Bevölkerung ist so dezimiert, daß es keine fähigen Männer für diese Arbeit gibt, fürchte ich.«
Dann erzählte Matthews, was er in der kurzen Wartezeit gesehen hatte, während der Schneider sein Material und seine Habseligkeiten zusammenpackte. »In der Nähe gibt es eine Ebene, wo angeblich Hunderte begraben sind; das Feld sah tatsächlich aus wie frisch gepflügt, so viele neue Gräber enthielt es. In der Abtei gibt es nur noch zwei Priester, und es geschieht kaum noch etwas, weder für Gott noch für sonst jemanden. Die Toten treten ohne Beichte vor ihren Schöpfer, weil es an Priestern mangelt, sie zu hören, und die Überlebenden bleiben aus Angst vor Ansteckung in ihren Häusern.«
Alejandro stand in der Nähe und beobachtete das Gespräch zwischen dem König und seinem Soldaten. Als sich nach und nach herausstellte, wie trostlos Englands Zustand außerhalb der Sicherheit von Windsor war, sah er, daß Edwards Miene sehr traurig und bekümmert wurde. Der König sagte nichts, denn nach solchen Neuigkeiten gab es nicht viel zu sagen.
Matthews schwieg höflich ein paar Minuten und wartete darauf, daß sein König sprach. Als der nachdenkliche Herrscher nichts sagte, bat Matthews um Erlaubnis, noch einmal zu sprechen. Zerstreut brummend gestattete der König es ihm.
»Sire, das ist mit Sicherheit das Ende der Welt, wie wir sie gekannt haben«, sagte der Soldat in seinem Käfig.
Prinzessin Isabella brachte es fertig, sich bis zum folgenden Morgen fernzuhalten. Alejandro, der auf seiner Pritsche im nahen Torhaus erwachte, seufzte schwer, als ein Soldat ihm meldete, die Prinzessin sei draußen.
»Guten Morgen, Doktor Hernandez«, zwitscherte sie fröhlich. »Ich würde Euch gern einige Fragen über die Bedingungen von Master Reeds Haft stellen.«
So müde er auch war, Alejandro wußte, daß er sie nicht abweisen konnte; sie würde ihn so lange belästigen, bis sie die gewünschte Information erhielt. »Ja, Prinzessin, was kann ich für Euch tun?« fragte er munterer als er sich fühlte.
»Ich möchte wissen, wie nahe ich den Kapellenfenstern kommen darf und ob ich Master Reed Zeichnungen meiner Ideen für neue Kleider hineinreichen darf. Es würde seinen Besuch hier sicher abkürzen, wenn er in seiner vorübergehenden Unterkunft schon mit den vorbereiteten Arbeiten beginnen könnte. Ich möchte ihm nicht zuviel Unannehmlichkeiten machen.«
Als wären vierzehn Tage Isolation keine Unannehmlichkeit, dachte Alejandro. »Eure Zeichnungen können Master Reed gegeben werden«, antwortete der Arzt ziemlich kühl, »aber nicht von Eurer eigenen Hand. Wir werden sie durch die Durchreiche schieben. Ich werde das gern für Euch erledigen, wenn Ihr sie mir geben wollt.«
In erfreutem Ton sagte die Prinzessin, sie würde einen Band mit selbstgezeichneten Entwürfen schicken, der mit größter Sorgfalt zu behandeln und ihrem Schneider so bald wie möglich auszuhändigen sei. Erinnert sie sich überhaupt noch an unsere bittere Auseinandersetzung? dachte Alejandro, während er ihr nachsah. Sie benimmt sich, als sei dieses ganze Unternehmen eine angenehme gemeinsame Bemühung um ein einvernehmliches Ziel. Sie findet es vollkommen normal, daß ihre Wünsche solche Umstände machen.
Nicht lange nach Isabellas Fortgang kam Adele mit den zusammengerollten Zeichnungen. Alejandro war entzückt, sie zu sehen, denn bei ihr durfte er für einen Augenblick in seiner Wachsamkeit nachlassen. Während er die Rollen entgegennahm, sagte er: »Lady Throxwood, Eure Gegenwart wärmt mir das Herz.«
»Es ist mein Herz, das gewärmt wird, Monsieur; ich habe bereitwillig meine Dienste angeboten, als die Prinzessin einen Boten für ihre Zeichnungen suchte. Zuerst zögerte sie, mich mit einer so kleinen Besorgung zu beauftragen, aber ich habe sie davon überzeugt, daß so bedeutende Werke von jemandem überbracht werden sollten, der ihren Wert begreift.«
»Adele«, sagte er, sie kühn mit Vornamen anredend, »ich kann mir niemanden vorstellen, der dazu besser geeignet wäre. Ich bedaure, daß wir so
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