Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
wie seine ungestüme Tochter, sah Alejandro mit deutlicher Feindseligkeit an und sagte gepreßt: »Nun gut, ich werde jetzt in meine Privatgemächer zurückkehren. Doch innerhalb einer Stunde erwarte ich, von Euch zu einem Gespräch mit unseren >Gästen< abgeholt zu werden. Sie sollen sich auf meine Ankunft vorbereiten. Guten Abend, Doktor.«
Alejandro war verletzt von der Zurechtweisung des Königs, doch er schluckte sie und kehrte zum Tor zurück. Er hatte zuviel zu tun, um sich davon aufhalten zu lassen. Eine Stunde! dachte er. Nicht annähernd genug Zeit. Er rannte zum Tor und öffnete das kleine Fenster in der Zugbrücke. Matthews und Reed standen draußen und sahen mit ihren schnabelähnlichen Masken wie riesige Vögel aus. Alejandro wies sie an, die Masken abzunehmen, und sie taten es und warfen sie beiseite; eine landete direkt vor dem niedrigen Zaun, der die Pferdekoppel begrenzte. Matthews’ neugieriges Pferd senkte den Kopf und schnupperte prüfend daran; dann nahm es sie mit den Zähnen auf. Doch sie schien ihm nicht zu schmecken, denn gleich darauf ließ es sie wieder fallen und näherte sich dem anderen Pferd, um es spielerisch anzustupsen.
Alejandro dachte sich weiter nichts dabei, da er zu sehr mit den Vorgängen innerhalb des Tors beschäftigt war. Er benutzte die gleiche Fahnenstange, mit der er die Linien gezogen hatte, um den beiden Männern zwei Kapuzen aus grobem Stoff zu reichen, die sie aufsetzen sollten.
Der zurückgekehrte Soldat und sein Schützling sahen in ihrer seltsamen Kostümierung komisch und bizarr aus; man hätte sie für Teilnehmer an irgendeinem alten heidnischen Ritual oder einer Zirkusvorstellung halten können, wenn man ihre Aufgabe nicht gekannt hätte. Matthews trat rasch und entschlossen durch das offene Tor, der Schneider ängstlich und zögernd; fast panisch schaute er um sich, während er zur Kapelle ging. Bei seinen früheren Besuchen in Windsor war er eleganter und ansehnlicher empfangen worden, und es war ihm überaus peinlich, seiner Gönnerin in so unordentlichem Aufzug vor Augen zu treten.
Isabella, nach dem Fortgang ihrer Eltern kühn geworden, sprang auf und ab und klatschte beim Anblick ihres Schneiders wie ein Kind in die Hände. »Willkommen, Monsieur Reed! Gut gemacht, Matthews! Ich werde Euch beide für Eure Tapferkeit reich belohnen!«
Nach diesen Worten Isabellas fühlte die Menge sich berechtigt, ihrerseits Beifall zu spenden, und laute Hochrufe erhoben sich in der sonst so stillen Dämmerung, Willkommensgrüße, die der Rückkehr eines Kriegshelden oder einer geretteten Geisel würdig gewesen wären. Matthews sonnte sich in seiner kurzen Berühmtheit, winkte mit der Hand und verbeugte sich wie ein Höfling. Mit stolzgeschwellter Brust schritt er der Kapelle zu, den bescheidenen, verwirrten Schneider im Gefolge. Dann verschwanden beide in ihrem Inneren.
Die schwatzenden Zuschauer zerstreuten sich bald, doch Alejandro blieb zurück, um mit den Reisenden zu sprechen. Er stellte sich in einiger
Entfernung vor eines der vergitterten Fenster und rief nach Matthews.
»Meinen Glückwunsch zu Eurer erfolgreichen Mission und Eurer sicheren Rückkehr, Matthews«, sagte er. »Im Schrank liegen frische Kleider, und es gibt auch Brot und Bier für Euch. Ich habe mich bemüht, alles bereitzustellen, was Ihr braucht, damit Ihr es während Eurer erzwungenen Haftzeit bequem habt.«
Trotz der Tatsache, daß ihm zwei Wochen Gefangenschaft mit dem mürrischen Schneider bevorstanden, bewahrte Matthews seine gute Laune. »Sieht so aus, als hättet Ihr das willige Mädchen vergessen, Doktor«, scherzte er.
»Natürlich, wie dumm von mir«, entschuldigte sich Alejandro, der den Humor des Mannes zu schätzen wußte. »Einstweilen werdet Ihr Euch mit Monsieur Reed begnügen müssen.«
Matthews grinste und sah achselzuckend den Schneider an, der auf seinem Bett saß, verwirrt über die Lage, in der er sich so plötzlich befand.
»Vielleicht später«, sagte der Soldat. »Im Augenblick gewöhnt er sich noch an sein neues Zuhause. Und ich selbst bin ziemlich erschöpft von der anstrengenden Tagesreise, also werde ich mich bald in mein üppiges Bett zurückziehen.« Er wies auf das Strohlager. »Leider allein.«
»Ich muß Euch bitten, noch ein wenig wach zu bleiben, denn der König persönlich wünscht Euch zu sprechen.«
Matthews zuckte wieder mit den Achseln und antwortete: »Ich denke, ich kann noch ein bißchen wach bleiben, aber Master Reed ist heute abend
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