Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Wählscheibe darauf wartete, von seinen sterbenden Fingern bedient zu werden.
Er hatte es fast geschafft, doch bei den letzten Schritten durch das kleine Zimmer überwältigte ihn das Sedativum. Seine Knie gaben nach, sein Bewußtsein schwand. Sein letzter klarer Gedanke war ein wütendes: Verdammt, zu kurz. Er knickte neben dem Bett zusammen und versuchte noch immer, das Gleichgewicht zu halten, obwohl er seinen instinktiven Versuch, aufrecht zu bleiben, schon nicht mehr bewußt erlebte. Er taumelte wenige Sekunden, stürzte dann nach vorn und brach über der schlafenden Caroline zusammen, die selbst zu betäubt war, um das Gewicht seines Körpers zu bemerken. Seinen letzten Atemzug tat er auf ihrer Brust.
13
Alejandro beobachtete die Truppen des Königs, wie sie im Hof von Windsor an ihm vorbeigingen, jeder einzelne Mann begierig auf irgendeine Aufgabe, die ihn aus den Mauern heraus und in die Freiheit bringen würde. An seiner Seite stand Sir John Chandos mit dem matten Blick von jemandem, der sich mit der unangenehmen Pflicht abgefunden hat, innerlich aber noch immer um eine Gnadenfrist betet.
»Wie eifrig sie sich aufstellen, um dieser Pest zu trotzen«, sagte Chandos traurig. »Sie halten es für eine Ehre, diese Reise anzutreten, die unter einem so schlechten Omen steht.«
Sie sind so jung, dachte Alejandro. Jeder von ihnen ist jünger als ich. Er wandte sich zu Sir John und sagte: »Wer von ihnen wird wohl unversehrt zurückkommen?«
Die Augen des Ritters prüften die Reihe der Freiwilligen und blieben bei einem kräftigen, hübschen jungen Mann hängen. Nüchtern musterte er den Soldaten einen Augenblick und brüllte dann einen Befehl. »Matthews, Euer König erweist Euch eine große Ehre. Ihr werdet ihn auf einer ziemlich wichtigen Mission für die Prinzessin Isabella vertreten. Kommt mit mir.«
Alejandro benutzte die letzten der aus Frankreich mitgebrachten Kräuter, um zwei Schutzmasken für die Reiter anzufertigen. Er ermahnte Matthews, nicht zu essen, nichts zu trinken, nichts anzufassen und sich so schnell wie möglich zu bewegen.
Er und Adele sahen aus einer Fensternische zu, wie Matthews sein Pferd bestieg, sich den Beobachtern zuwandte und salutierte. Rasch ritt er dann aus dem Tor und verschwand in einer Staubwolke.
»Möge Gott mit ihm sein«, sagte Adele.
»Und ihn stetig seinen Weg nehmen lassen«, fügte Alejandro hinzu.
Alejandro sandte eine Botschaft an Kate, in der er das Schachspiel an diesem Abend absagte, denn er hatte die Pflicht, dafür zu sorgen, daß Matthews und der Schneider Reed in ihren vorübergehenden Quartieren untergebracht wurden, und Sir John hatte ihm gesagt, ihre Ankunft sei bei Sonnenuntergang zu erwarten.
Während er sich in der umgebauten Kapelle zu schaffen machte und um die letzten Einzelheiten kümmerte, fragte sich der Arzt, ob überhaupt einer der Männer lebendig wiederkommen würde. Au- ßerhalb der Mauern von Windsor war die Hälfte der Menschen umgekommen, und darum war es nur logisch, daß einer der beiden Reisenden sich die Pest zuzog. Gott allein wußte, welcher es sein würde; Alejandro betete still darum, daß beide davor bewahrt blieben.
Aber wenn die Pest aufhört, habe ich in Windsor nichts mehr zu tun, und ich werde nicht mehr so willkommen sein; meine Dienste hier werden von denen vergessen, denen ich das Leben und die Zukunft gerettet habe. Und ich werde Adele nicht mehr sehen .
Er dachte an Kate, die bereits in zartem Alter durch die Unsicherheit ihrer Stellung abgehärtet war. Wie hatte dieses Kind die Stärke gefunden, angesichts seiner eigenen Machtlosigkeit und Anonymität zu gedeihen, während alle um es herum einfach kraft ihrer Geburt befehlen konnten, was sie wollten? Ihre uneheliche Geburt und meine Täuschung haben einiges gemeinsam, dachte er. Beide sind wir nicht, was wir sind; wir sind namenlos. Diese Namenlosigkeit, die Möglichkeit, daß er sein Leben ohne denkwürdige Leistung lebte und dann allein und unbetrauert starb, fürchtete Alejandro am meisten.
»Da kommen Reiter !«
Dieser Ruf des Spähers ertönte kurz vor Sonnenuntergang und löste aufgeregte Aktivität im Schloßhof aus. Alejandro, der aus einem der Türme von Windsor in das verblassende Licht schaute, brauchte ein paar Minuten, bis er das rote Wams erkennen konnte, das Matthews bei seinem Aufbruch getragen hatte. Der Mann neben ihm hüpfte auf einem Pferd auf und ab, das viel zu schwer beladen war; tatsächlich boten die beiden Männer mit ihren
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