Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
mußte den Klang ihres Namens hören. »Ich kann nicht sagen, wie mir im Augenblick ums Herz ist.«
»Alejandro ...«, hauchte sie. »Ihr braucht es nicht zu sagen. Es schwebt lautlos durch die Luft. Mein Herz ist von den gleichen namenlosen Gedanken erfüllt.«
Sie waren so ineinander vertieft, daß sie nicht merkten, wie die leichte abendliche Brise zu einem kalten Wind anwuchs, bis die Flamme einer nahen Fackel flackerte. Alejandro stand rasch auf und schloß die Läden gegen das Geräusch und die plötzliche Kälte. Als er sich wieder dem Tisch zuwandte, an dem sie gesessen hatten, fand er Adele plötzlich nur noch eine Armeslänge von seinem Platz entfernt, obwohl er ihre Schritte hinter sich nicht gehört hatte. Sie bewegt sich wie eine Katze, genauso leicht und anmutig. Sie streckte den Arm aus und nahm seine Hand. Mit ihrem kleinen Finger malte sie Kreismuster in seine Handfläche, und so standen sie lange, ganz in die schlichte Freude dieser Berührung vertieft. Sie summte leise, schloß die Augen und wiegte sich zu ihrer eigenen Melodie, bis Alejandro endlich den Bann brach, indem er seine andere Hand hob und ihre Wange berührte.
»Adele«, sagte er, »ich fürchte, wenn wir dies tun, werde ich nach der heutigen Nacht nicht mehr fähig sein, all die einsamen Nächte zu ertragen; wenn wir wieder in Windsor sind, wird es nicht leicht sein, einen abgeschiedenen Ort zu finden.«
»Und ich fürchte, wenn wir es nicht tun, werde ich ewig meine eigene Dummheit bereuen, denn Gott allein weiß, ob wir jemals wieder eine Gelegenheit haben werden.«
Alejandro konnte das Ende seiner Furcht und den Beginn seiner Freude nicht unterscheiden, denn beide durchströmten ihn wie Ebbe und Flut und waren untrennbar vermischt. Der Kampf zwischen seinem Glauben und seiner Freiheit tobte mächtig in ihm; in einem Moment war er ein unabhängiger junger Mann in den Armen seiner Geliebten, im nächsten ein frommer Jude mit der Verpflichtung, ja, sogar dem Wunsch, an den Bräuchen seiner Familie und seiner Vorfahren festzuhalten. Und er konnte nicht vergessen, daß er ein Jude war, denn das Mal seines Glaubens war ihm grausam in die Brust gebrannt worden.
Es wird dunkel sein, versicherte er sich selbst, und sie wird es nicht sehen ... Ich werde ihre Hände so beschäftigt halten, daß sie es nicht fühlen kann ... Und was, wenn sie es doch tut? fragte er sich. Wird sie mich verraten?
Nein, das wird sie nicht, sagte er sich. Sie liebt mich; dessen bin ich sicher. Und sagt der Talmud nicht, daß jeder Mensch, wenn er seinem Schöpfer begegnet, über die Freuden seines Lebens Rechenschaft ablegen muß, die er nicht erfahren hat? Sein Gott verlangte, daß er sein Leben so freudvoll wie möglich lebte, und er hatte schmerzlich deutlich gemacht, daß das betreffende Leben ihm jederzeit genommen werden konnte.
»Gott allein weiß, ob wir lange genug leben werden, um diese Reue zu empfinden«, sagte er endlich. »Plötzlich habe ich die Bereitschaft verloren, es in Seine Hände zu legen.« Er nahm sie in die Arme und sagte: »Ich war noch nie mit einer Frau zusammen.«
»Und ich mit keinem Mann.«
»Dann werden wir voneinander lernen«, sagte er, zog sie an sich und küßte sie.
Es war nur eine Stunde zu reiten bis zu dem Ort, an dem Kates Mutter im Sterben lag, und als sie sich ihrem Bestimmungsort näherten, wurde Kate unruhig und weinerlich; Alejandro fragte sich, welche verstörenden Gedanken den Frieden des Kindes zerbrachen. Sie muß schreckliche Angst haben , dachte er, genau wie ich sie bei der Aussicht haben würde, meine Mutter sterben zu sehen.
Vielleicht, dachte er, fürchtet sie in Wirklichkeit, die Hoffnung zu verlieren , daß sie die Dame jemals gut genug kennenlernen wird , um sie » Mutter « zu nennen . Kate kannte die Frau kaum, die ihr mit Hilfe des Königs von England das Leben geschenkt hatte, und bald würde die Gelegenheit dazu für immer verloren sein. Das Kind verstand vielleicht gar nicht, was ihm solche Unruhe bereitete.
Aber ich verstehe deine Furcht, Kleine, dachte er, denn auch ich habe kein wirkliches Heim . Er wunderte sich, daß sie überhaupt den Kopf behielt;
sie konnte keine Freude an dieser Reise und dem unausweichlichen Elend an ihrem Ende haben.
Er allerdings würde diese Reise niemals vergessen, weil sie ihm unbeschreibliche Ekstase geschenkt hatte; alle Schmerzen der vergangenen Monate waren in einer süßen Nacht vergangen und durch Freude ersetzt worden, und trotz der chaotischen
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