Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
so daß wir sie leichter finden können?«
Die Magd runzelte die Stirn und dachte sichtbar nach. Endlich antwortete sie: »Mir ist nie einer genannt worden. Ich kenne sie seit meiner Kindheit, und man hat sie immer Mutter Sarah genannt. Sogar meine eigene Mutter hat das getan, Gott lasse ihre Seele in Frieden ruhen.«
»Aber wo ist sie zu finden?«
Wieder dachte die Magd angestrengt über die Frage nach und sprach dann von einer Ebene auf der anderen Seite des Flusses. »Es ist ein längerer Ritt«, sagte sie. »Ihr müßt die offene Wiese überqueren, dann findet Ihr ein paar Eichen mit verdrehten, knorrigen Stämmen. Reitet zwischen denen hindurch, und Ihr kommt auf einen weiteren Weg, einen schmaleren, der zu einer Lichtung im Wald führt. Am Rand der Lichtung steht eine kleine Steinkate neben einer gelb dampfenden Quelle, von der die Einheimischen sagen, sie hätte magische Eigenschaften; es geht das Gerücht, die Mutter beziehe einen Teil ihrer Fähigkeiten aus diesem heißen Wasser.«
Als sie die Magd von Magie reden hörte, hielt Adele dem Kind mit den Händen die Ohren zu und rief: »Blasphemie und Ketzerei! Gott schütze uns vor Magie und Hexen!«
Alejandro drehte sich rasch zu ihr um und sagte: »Hexe oder nicht, wenn die Frau auch nur die geringste Macht über diese Seuche hat, dann werden wir sie sofort aufsuchen, denn ich will keine Möglichkeit einer Heilbehandlung ungeprüft lassen.«
Überraschend eigenwillig und trotzig, fragte die sonst so sanfte Adele: »Und was ist mit dem Kind? Ich bestehe darauf, daß sie dem bösen Einfluß von Hexerei ferngehalten wird!«
»Adele, wir wissen nicht einmal, ob diese Frau die schwarze Kunst praktiziert, denn die Dienerin spricht von ihr als von der Hebamme! Es kann sein, daß die Erzählungen über ihren Erfolg die unwissenden Einheimischen so beeindruckt haben, daß sie nach ihrem eigenen Aberglauben von ihr sprechen. Es hört sich an, als sei sie eher ein Medicus als eine Hexe, wenn ihre Heilmittel so gut sind.«
Die kleine Kate war fasziniert von dem Streit über ihren Schutz und verfolgte den lebhaften Wortwechsel zwischen ihren beiden Gefährten aufmerksam. Endlich fragte sie: »Kann ich nicht hier bleiben, im Haus meiner Mutter?«
Alejandro und Adele unterbrachen ihren Streit und schauten sich an. Jeder wartete auf die Mei- nung des anderen. Die Dienstmagd sagte: »Die Kleine kann gern bleiben, solange sie nicht die Ruhe meiner Herrin stört.«
»Das wird sie nicht tun«, sagte Alejandro, »denn sie hat strikte Anweisung, ihre Mutter nicht zu berühren oder ihr auch nur zu nahe zu kommen. Unsere guten Pferde werden uns schnell an diesen Ort bringen, und wir werden vor Sonnenuntergang zurückkommen, um das Kind abzuholen. Dann hat es seine Mutter lange genug besucht, und wir brechen wieder nach Windsor auf. Was sagt Ihr dazu, Adele?«
Adele beäugte die Magd mißtrauisch und fragte sich, ob man darauf vertrauen konnte, daß sie während Kates Besuch im Haus ihrer Mutter genügend auf die Kleine aufpassen würde. Sie war sicher, daß die junge Dienerin noch bis vor kurzem nur ein Küchenmädchen gewesen und nur deshalb aufgestiegen war, weil ihre Herrin ständig umsorgt werden mußte.
Doch wenn sie die geheimnisvolle Mutter Sarah finden wollten, hatten sie keine andere Wahl, als das Kind zurückzulassen. Adele öffnete ihre kleine Börse, nahm eine Goldmünze heraus und reichte sie der Dienstmagd. »Sorgt dafür, daß sie der Kranken nicht zu nahe kommt, und Ihr bekommt dasselbe noch einmal, wenn wir zurückkehren und sie heil vorfinden.«
Die Augen der Magd weiteten sich, denn sie hatte noch nie so viel Geld auf einmal gesehen. Und sie sollte dasselbe noch einmal bekommen! »Das will ich tun, Herrin, seid beruhigt. Kein Kind könnte sicherer sein«, beruhigte sie sie.
Trotzdem war Adele voller Zweifel. Sie umarmte Kate und sagte: »Wir werden Euch vor Sonnenuntergang wieder abholen.« Nachdem sie der zerlumpten Magd ihre Umhänge wieder abgenommen hatten, beobachteten sie, wie diese und das Kind durch den dunklen Gang zur Schlafkammer gingen. Alejandro flüsterte ein stilles Gebet, dem kleiner. Mädchen möge kein Leid geschehen; dann verließen sie rasch das Haus und ritten auf der Straße nach Westen.
Nicht lange nachdem sie den Fluß überquert hatten, kam hinter dem Kamm eines Hügels die Ebene in Sicht. Alejandro lenkte sein Pferd auf die offene Wiese, und Adele folgte ihm. Wie erwartet erreichten sie bald die beiden edlen alten Eichen in
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