Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
der Wärter nach einem ziemlich ausgedehnten Nachmittagsschlaf. Er schaute rasch auf die Uhr und verfluchte sich, weil er den größten Teil des Abends verschlafen hatte. Als er sich in seinen Schaukelstuhl gesetzt hatte, war ihm nicht klar gewesen, wie sehr die Begegnung mit den beiden Frauen früher am Tag ihn angestrengt hatte. Er hatte mehrere Stunden lang geschlafen wie tot.
Er ging zum Becken und spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Dann trocknete er sich rasch mit einem groben Handtuch ab. Sein Hund lag noch immer still vor der Tür und wartete geduldig auf seinen »Nachmittags«spaziergang.
Sarin bot seinem geduldigen Gefährten eine Schale frisches Wasser, und der Hund schlabberte es auf und sah seinen Herrn danach mit einer Art Lächeln an. Die Leine lag auf dem Boden, wohin Sarin sie zuvor geworfen hatte, damit seine Besucherinnen sich setzen konnten, und der Hund wies mit der Nase darauf hin und wedelte heftig mit dem Schwanz.
»Schon gut, mein Freund, ich verstehe«, sagte Sarin. Er fragte sich, wieso er nie Schwierigkeiten gehabt hatte, mit seinem tierischen Gefährten zu kommunizieren, während ihm dies bei Menschen so schwerfiel. »Ich hole mir nur einen Pullover, und dann gehen wir los.« Er steckte eine Pfeife und ein paar Streichhölzer in seine Tasche, und dann brachen die beiden zu einem Abendspaziergang auf.
Der Hund schnüffelte ein bißchen herum und suchte nach der richtigen Stelle, um seine Duftmarke zu hinterlassen. Er hob ein Bein und benetzte einen niedrigen Busch, dann lief er eifrig weiter.
Der Wärter stolperte hinter ihm her, behindert von der Steifheit seiner alten Gelenke. Um das Feld zu umrunden, brauchten sie etwa eine halbe Stunde, vorausgesetzt, sie stießen nicht auf unerwartete Hindernisse, die Aufmerksamkeit forderten, etwa Teenager, die ihr stark riechendes Dope rauchten, und anderen Unsinn dieser Art.
Sie kamen ungestört voran, bis der Hund plötzlich innehielt und den Kopf nach etwas draußen auf dem offenen Feld wandte. Er spitzte die Ohren, legte den Kopf ein wenig schräg, hörte aber genauso plötzlich wieder damit auf. Irgendwo hoch in der Luft kündete der Schrei eines Adlers dessen räuberisches Vorhaben an; verstört blickte der Hund zum Himmel und dann zu seinem Herrn, der sich bückte und ihn beruhigend tätschelte. Sie gingen weiter ungestört um das Feld herum, bis der Hund zehn Minuten später erneut die Ohren spitzte und jaulte.
»Was ist los?« fragte der Wärter. »Ist was da draußen, Kumpel?« Der Hund zerrte an seiner Leine und versuchte, den alten Mann zur Mitte des Feldes zu ziehen. Der Wärter folgte ihm und mußte sich bald anstrengen, mit ihm Schritt zu halten.
Caroline stand auf und streckte sich, bereit, nach der kurzen Ruhepause mit der Extraktion der Probe zu beginnen; plötzlich wurde sie auf etwas Helles weit auf der anderen Seite des Feldes aufmerksam. Sie zwinkerte und schärfte ihren Blick. Eine Taschenlampe ! Sie tippte Janie auf die Schulter und flüsterte: »Da drüben! Schauen Sie! Ein Licht!«
»Scheiße!« murmelte Janie lautlos. »Er muß uns gehört haben, als ich mit der Grabröhre angestoßen bin! Wenn er eine von uns erkennt, sind wir geliefert.« Sie schaute sich in der Dunkelheit um und sah eine Baumgruppe, die ihnen vielleicht Deckung bot, wenn sie sie schnell genug erreichen konnten. Sie faßte Caroline am Arm und begann, sie in diese Richtung zu ziehen.
»Die Grabungsröhre!« flüsterte Caroline dringlich. »Was ist, wenn er sie sieht?«
»Dann sieht er sie eben. Dagegen können wir jetzt nichts mehr machen. Der Handgriff ist so weit unten, wie es nur geht, also bemerkt er sie vielleicht nicht. Und wenn doch, dann wollen wir hoffen, daß er zu simpel ist, um zu begreifen, um was es sich handelt.«
Sie eilten den Bäumen entgegen und schauten sich nach der Stelle um, an der die Grabungsröhre in der Erde steckte. Nachdem sie sich hinter einen großen Baumstumpf gekauert hatte, atmete Janie die Luft aus, die sie seit ihrer Flucht von der Grabungsstelle unwillkürlich angehalten hatte. Die beiden Frauen richteten sich ein wenig auf und sahen zu, wie Sarin und sein Hund ziellos herumgingen und sehr unsystematisch nach irgend etwas suchten. Janie wußte zwar, das Stehlen einer Röhre voll Erde war nicht sonderlich illegal, doch da Sarin ihnen die Probe ausdrücklich verweigert hatte, kam ihr Handeln ihr schrecklich unmoralisch vor, ein direkter und flagranter Verstoß gegen die Würde des alten Mannes. Sie
Weitere Kostenlose Bücher