Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
der faulige Speichel der Fledermäuse ansteckt und aus dieser Welt befördert. Das wäre eine allzu große Ironie und unerträglich grausam nach allem, was er überlebt hatte.
An welchen Gott soll ich meine Gebete jetzt richten? fragte er sich.
»Nun«, sagte er dann laut, da er das Bedürfnis hatte, eine Stimme zu hören, »vielleicht wird der eine oder der andere von euch mir die Gnade gewähren, diese Nacht zu überleben. Morgen werde ich dann sehen, was zu tun ist.«
Er breitete eine Decke über die harte Platte eines großen Tisches in der Halle, denn er wagte nicht, in irgendeinem Bett zu schlafen, sofern er eines fand, ehe er sich vergewissert hatte, daß es sauber war. Morgen würde er genug Zeit haben, alles zu erforschen, das wußte er, und sich in seinem neuen Zuhause einrichten, doch nun brauchte er Ruhe.
In dieser Nacht kehrte der Traum von Carlos Alderon zurück; der riesige Schmied hatte Alejandros Frieden lange nicht mehr gestört, doch nun kam er so klar und wirklichkeitsnah wieder, daß es schien, als sei er nie verschwunden gewesen, nicht einmal für eine Nacht. Wieder schleppte der massige Mann seine Leichentücher hinter sich her, wieder grinste Matthews an seiner Seite, und das Klappern der Pfeile in seinem Körper begleitete die schaurige Verfolgungsszene. Doch diesmal tauchte in dem bedrückenden Traum ein neuer entsetzlicher Anblick auf: Der bleiche Geist von Adele, in die blutigen Überreste eines Brautkleides gewandet, holperte auf einem brüchigen Karren hinter ihnen über den zerfurchten Weg und verlor dabei die welken Blüten des Brautstraußes.
Alejandro erwachte mit einem Ruck, rollte sich heftig vom Tisch und landete mit einem Plumps auf dem steinernen Boden. Dort blieb er mit pochendem Herzen und klammer, kalter Haut zitternd liegen und rührte sich nicht von der Stelle, bis endlich die Morgenröte kam.
Alejandro nahm seine ärztliche Praxis wieder auf, und jeden Tag kam mindestens ein Kranker aus der Umgebung, dessen Beschwerden seine Aufmerksamkeit erforderten. Einmal richtete er den gebrochenen Arm eines jungen Knaben wieder ein, der vergeblich versucht hatte, einen überladenen Karren im Gleichgewicht zu halten. Alejandro zuckte zusammen, als er sich an seine eigene Erfahrung mit einem umgestürzten Wagen vor vielen Monaten in Aragon erinnerte, und er hoffte aufrichtig, daß sich das Leben des Jungen dadurch nicht so dramatisch verändern würde wie sein eigenes nach diesem schicksalhaften Augenblick.
»Ich habe viele solche Verletzungen gesehen, und ich fürchte, es werden noch mehr werden«, sagte er zu dem wütenden Vater des Jungen. »Der Knochen ist gebrochen.«
»Ich hatte gehofft, daß es nur eine Schwellung wäre, aber der Junge behauptet, er könnte den Arm nicht gebrauchen.«
»So ist es«, sagte der Arzt. »Ich fürchte, er wird mindestens einen vollen Monat Ruhe brauchen, Sir. Danach wird sein Arm soweit verheilt sein, daß er wieder arbeiten kann, aber er ist noch jung, und seine Knochen sind zart. Mein Rat wäre, ihn nicht zu schwer arbeiten zu lassen, wenn er wieder gesund ist.«
»Tja«, sagte der unglückliche Mann, »falls er nicht verhungert, bevor er gesund wird. Ohne seine Hilfe kann ich die Ernte nicht einbringen! Er wird seinen Teil der Arbeit leisten müssen; trotz seines unzureichenden Arms kann ich ihn nicht entbehren.«
»Dann muß ich Euch warnen, denn mit einem krummen und empfindlichen Arm wird er Euch nächstes Jahr nicht von großem Nutzen sein. Am besten laßt Ihr ihn ruhen, dann wird er bald wieder wohlauf sein. Gott schenkt Kindern die Gnade schneller Heilung, während es bei älteren Menschen viel länger dauert.«
»Wenn das so ist«, fragte der wütende Bauer, »warum sind dann so viele von den Jungen bei der Pest umgekommen? Gerade letzte Woche starb wieder einer in einem Dorf nördlich von meinen Weiden. Der Gutsherr beschwert sich, daß niemand die Pacht wird bezahlen können, wenn alle Pächter umkommen.«
Alejandro, der sich darauf konzentriert hatte, den Arm des Kindes in einen Verband aus Lehm und Hanffasern zu hüllen, hielt ruckartig inne und packte den Mann an der Schulter.
»Was sagt Ihr da? Noch jemand an der Pest gestorben? Seid Ihr sicher, daß es dieselbe Seuche war?«
»Ich weiß nur, was mir die Mutter des Jungen erzählt hat, die mich um ein paar Nägel bat, um den Sarg zu schließen. Sie hat von Schwellungen am Hals und schwarzen Fingern berichtet, und ich habe keinen Zweifel, daß es die Pest war.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher