Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
wobei sie heiße Tränen der Zurückweisung unterdrückte.
Später an diesem Tag, als Adele wieder ein bißchen Farbe bekommen hatte und endlich nicht mehr würgen mußte, kam Isabella zu ihr.
»Ich möchte nicht, daß wir böse aufeinander sind«, sagte die Prinzessin. »Wir sind viel zu lange zusammen, als daß irgend jemand zwischen uns treten dürfte. Könnt Ihr mir verzeihen, daß ich Euch so grausam behandelt habe?«
»Ach, Isabella«, sagte Adele, erleichtert über den offensichtlichen Sinneswandel ihrer Herrin, »ich würde Euch fast alles vergeben. Und ich würde meine Freude mit Euch teilen, denn trotz der Schwierigkeiten meiner Situation bin ich glücklicher, als ich je für möglich gehalten hätte.« Sie ergriff die Hand ihrer Freundin und drückte sie fest. »Oh, bitte, Isabella, könnt Ihr nicht bei Eurem Vater für mich eintreten? Helft mir, ihn zu überzeugen, daß ich hierbleiben muß; helft mir, ihm zu zeigen, daß Alejandro ein würdiger Ehemann für mich sein wird.«
Also willst du ihn wählen, dachte Isabella bei sich. Sie zog ihre Hand aus Adeles und sagte leise: »Nun gut. Wenn es Euch glücklich macht.«
Adele streckte die Arme aus und umarmte Isabella innig; diese löste sich mit einem schwachen Lächeln von ihr und sagte: »Und jetzt müssen wir unsere Kleider für Canterbury anprobieren.«
Und während der ganzen Zeit, die die Damen ihrer Umgebung brauchten, um ihre Festgewänder anzuprobieren, spielte Isabella die Fröhliche und versicherte Adele hinterhältig, sie werde sich beim König nach Kräften für sie einsetzen. Innerlich kochte sie, weil sie sich abgelehnt und gedemütigt fühlte, doch ihr Stolz ließ nicht zu, daß sie es zeigte, nicht einmal ihrer engsten Gefährtin. Wie ein gekränktes Kind schmiedete sie ihre Rachepläne, doch als gerissene Prinzessin behielt sie sie für sich. Adele würde bald genug erfahren, wie teuer sie ihren Verrat zu bezahlen hatte, und Isabella war sicher, daß so etwas nie wieder vorkommen würde.
Nach dem heftigen Sturm des Vortages war der Himmel wieder schön und blau, doch der Zustand der schlammigen Straßen war alles andere als gut. Alejandro hatte vor, direkt zum Tower zu reiten und dort um eine sofortige Audienz beim König nachzusuchen. Da er fürchtete, der König könne diese Bitte zugunsten angenehmerer Besucher ablehnen, beschloß Alejandro, ihn nach Kräften von der Wichtigkeit seiner Nachricht zu überzeugen.
Die Folgen des Sturms waren nicht mehr so deutlich zu sehen, als er sich London näherte. Aus dem besseren Zustand der Straßen schloß Alejandro, daß das Unwetter, das ihn aufgehalten hatte, nicht bis London vorgedrungen war. Dennoch fand er den Zustand Londons beschämend; er beleidigte das Auge des anspruchsvollen Juden. Wenn das Englands beste Stadt ist, wie mögen dann erst die ärmeren aussehen? fragte er sich. Er hielt an, um nach dem Weg zu fragen, und war betrübt über die hohlwangigen Gesichter der Bewohner Londons. Es wäre eine ungeheure Aufgabe, die Lage in London nach den Verheerungen der Pest wieder in Ordnung zu bringen, und Alejandro war sicher, daß die Wiederherstellung bei der verringerten Zahl und dem geschwächten Zustand der Einwohner eine langwierige Sache sein würde.
Er ritt durch die grauen, mit Menschen übersäten Straßen, blieb aber abrupt stehen, als er einen leuchtenden Farbfleck erblickte. Er sah eine zerlumpte Alte, die müde in die entgegengesetzte Richtung schlurfte, einen hellroten Schal fest um die Schultern geschlungen; sie war das Ebenbild von Mutter Sarah. Das kann sie nicht sein, so weit von ihrer Hütte entfernt, dachte er. Trotzdem wendete er sein Reittier; jetzt war sie nicht mehr zu sehen, und er konnte keinen Ort ausmachen, wo sie sich versteckt haben könnte.
Warum sollte sie sich auch verstecken wollen? fragte er sich, verwirrt über ihr Verschwinden. Er schaute noch einmal die Straße auf und ab, um die Hebamme vielleicht doch noch zu finden, aber er sah sie nicht. Das Pferd tänzelte nervös, und da er keinen Grund zum Verweilen hatte, ritt Alejandro weiter in Richtung Tower, etwas gereizt wegen des eigenartigen Erlebnisses.
Der üble Geruch des Flusses und des Towergrabens war seit seinem ersten Ritt über die Zugbrücke vor fast einem Jahr nicht besser, sondern eher schlimmer geworden. Der König sollte froh sein, dachte er, denn dieser Gestank ist Waffe genug, um alle bis auf die unempfindlichsten Feinde von ihm fernzuhalten. Der Hof des Tower war fast verlassen,
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