Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
sicherlich, daß ich viel mehr bin als Euer Gastgeber bei diesem schlichten Mahl. Wenn Ihr das Bedürfnis habt, über schwierige Angelegenheiten zu sprechen, so tut dies ohne Furcht. Ihr seid im Hause Gottes, und hier werdet Ihr Aufnahme finden.«
Avram ignorierte den Schmerz in seinen alten Knochen, bemühte sich, sich einen Anschein von Würde und Kraft zu geben, und schaffte es, sich auf dem reichverzierten Stuhl etwas größer zu machen. Bei sich dachte er, daß es vermutlich den jährlichen Zehnten von fünfzig Bauern gekostet hatte, dieses Meisterstück zu erwerben. Während er seine Haltung veränderte, stellte er fest, daß rings um den Tisch sorgsam zwölf dieser teuren Stühle angeordnet waren. Wenn man bedenkt , wie schön sie aussehen , wären sie vielleicht ihren Preis wert gewesen, wenn man bloß ein wenig bequem auf ihnen sitzen könnte, dachte der alte Jude.
Er räusperte sich. »Eure Eminenz«, begann er vorsichtig, »ich bin sicher, Eure >Berater< haben Euch davon in Kenntnis gesetzt, daß es in unserer Stadt Cervere Probleme gibt.«
Argwöhnisch beäugte der Bischof Avram. Woher weiß er von meinen Spionen? wunderte er sich. »Ach ja, meine Berater«, sagte er entschieden. »Ich erinnere mich, gehört zu haben, daß es da neulich zu einer Art Einbruch gekommen ist ... ein Grabraub, nicht wahr?« Er wußte ganz genau, daß ein Jude verhaftet worden war, weil er das Grab eines jüngst verstorbenen christlichen Kaufmanns ausgeraubt hatte; die hinterbliebene Familie war entsprechend empört und forderte sofortige Gerechtigkeit. Der Bischof hatte jedoch noch keine Einzelheiten erfahren, er brauchte mehr Informationen über den Vorfall, den Avram zur Sprache gebracht hatte. Indem er so bald gekommen war, hatte der Jude dem Bischof etwas von seinem üblichen Vorteil genommen, und Johann beschloß, dem Abt von Cervere sein Mißfallen zu bekunden. Er fühlte sich auf das Folgende schlecht vorbereitet, aber er wollte nicht verraten, daß es ein schwaches Glied in seinem berühmten Netzwerk gab, einem Netzwerk, von dem er nicht angenommen hatte, daß der alte Jude es überhaupt kannte. Was weiß er sonst noch, dieser gerissene alte Fuchs? fragte sich der Bischof.
»Euer Gnaden«, fuhr Avram fort, »ich bedauere, Euch zu meiner ewigen Schmach gestehen zu müssen, daß der Räuber mein Sohn ist.«
Sofort wich die Wärme aus dem Gesicht des Bischofs. Unhöflich unterließ er es, sich zu entschuldigen, als er sich von seinem Stuhl erhob. Warum hatten seine Spione ihn nicht genauer unterrichtet? Ich sollte den inkompetenten Narren exkommunizieren, der mich um diesen Vorteil gebracht hat! dachte er wütend. Der alte Jude war tatsächlich schlau, mit diesem Geständnis zu kommen, denn er hat mich geschickt überrascht!
Er entfernte sich vom Tisch und starrte einen Augenblick aus dem Fenster, die Arme gekreuzt, als schütze er sich vor einem großen Übel.
Aber Avram konnte sehen, daß der Bischof wütend war; was er nicht verstand, war der Grund. Er glaubte, seine Karten zu früh aufgedeckt zu haben, und begann zu fürchten, seine Mission zu Alejandros Rettung werde fehlschlagen. Er stützte sich auf die Tischkante, erhob sich mühsam und bewegte sich am Tisch entlang zittrig näher zu seinem zornigen Gastgeber.
»Mein Sohn ist Arzt und hat das große Risiko auf sich genommen, diesen Christen auf dessen eigenen Wunsch hin zu behandeln, obwohl er wußte, daß das verboten ist. Der arme Mann starb qualvoll an einer zehrenden Krankheit, und mein Sohn hat sich edelmütig bemüht, das Leiden seiner letzten Tage zu lindern. Er hat alle bekannten Heilmittel ausprobiert und dem Patienten seine Zeit gewidmet. Alles, womit er entlohnt wurde, war eine Schaufel. Eine Schaufel, Euer Gnaden! Er fühlte sich gezwungen, den Leichnam des Mannes zu untersuchen, um die Ursache der Krankheit in Erfahrung zu bringen. Er glaubt nicht, daß er ein Verbrechen begangen hat.«
Er hielt inne, wartete auf eine mitfühlende Reaktion seines Gegners, bekam aber nur einen eisigen Blick. Avram nahm sich zusammen und fuhr fort: »Gewiß ist er nicht der Grabräuberei schuldig. Hätte man ihn nicht daran gehindert, hätte er den Leichnam in sein Grab zurückgebracht, wohin er tatsächlich unterwegs war, als man ihn faßte. Nichts wurde weggenommen; der Leichnam war intakt.«
»Trotzdem«, sagte Johann streng und sah Av- ram dabei stetig in die Augen, »selbst Moses lehrt, daß es eine Sünde ist, etwas zu begehren, das einem anderen Manne
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