Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
die Lektionen in Medizin. Ich werde deine Fortschritte per E-Mail überwachen und dir ein paar Aufgaben stellen. Und hier kann dir nichts passieren, bis ich wiederkomme.«
»Und was ist mit dir?«, fragte er. Er klang auf einmal ganz unsicher. Sie sah den ängstlichen Ausdruck auf seinem Gesicht. Man erkannte noch Spuren der Kratzer, die er sich auf seiner Jagd durch den Wald geholt hatte, aber Janie war sicher, dass auch sie verschwinden und keine Narben zurücklassen würden.
Zumindest keine äußerlichen.
Sie umfasste seine Schultern. »Nein, auch mir wird nichts passieren. Es wird nicht so sein wie auf dem Ausflug, den ihr wegen der Transceiver unternommen habt. Ich bleibe immer auf der Straße und gehe nicht durch den Wald. Das ist viel sicherer. Wir können es in weniger als einem Tag schaffen.«
Und jetzt, dachte sie, ist es wohl an der Zeit, ihn wissen zu lassen, was für ein besonderer Junge er ist.
Sie ließ ihn los und sagte: »Da gibt es etwas, über das ich mit dir sprechen möchte, etwas über dich, das wirklich toll ist.«
Er spitzte sogleich die Ohren. »Was denn?«
All die vorsichtigen Umschreibungen, die sie sich für diesen
Anlass zurechtgelegt hatte, waren plötzlich aus ihrem Kopf verschwunden. Sie hatte sich in den sieben Jahren, die sie nun schon darüber nachdachte, Hunderte von psychologisch korrekten Euphemismen für »Klon« einfallen lassen, aber jetzt, da das Kind vor ihr saß und darauf brannte, etwas darüber zu erfahren, hatte sie jeden einzelnen vergessen.
Sie schluckte und sagte: »Du lebst nicht zum ersten Mal.«
Alex speicherte den Spielstand und stand auf. Janie schloss ihn in die Arme, als er ungefragt auf ihren Schoß kletterte.
»Ich habe schon einmal gelebt?«
Sie holte tief Luft und sprang kopfüber in das gefährliche Wasser der Wahrheit. »Ja. Du hast schon einmal gelebt. Du bist mithilfe von Nukleustransfer gezeugt worden, das heißt, dass der Zellkern einer Zelle aus deinem ersten Körper - der all das genetische Material enthalten hat, das dich ausmacht - in eine meiner Eizellen transferiert wurde. Der Zellkern dieser Eizelle wiederum war zuvor entfernt worden. Dann wurde das Ganze in meinen Körper implantiert, damit ich dich zur Welt bringen konnte, was ich unbedingt wollte.«
Einen Moment lang schwieg Alex, um die Bedeutung dessen zu erfassen, was ihm seine Mutter eben gesagt hatte. Janie biss sich auf die Unterlippe, um sich selbst zu bremsen. Er soll Fragen stellen, sagte sie sich. Er musste viele haben.
Die erste war erstaunlich einfach und klug. »Wie lange ist es her, dass ich … also, dass ich gelebt habe?«
»Fast siebenhundert Jahre.«
Er sagte weder cool noch wow oder echt?; er holte nur tief Luft, bevor er die nächste Frage stellte: »Wie alt war ich?«
Das war schon schwerer zu beantworten. Zu welchem Zeitpunkt in seinem Leben? Wollte er wissen, wie lange er das erste Mal gelebt hatte oder etwas weniger Endgültiges? Sie wollte das Alter oder die Art des Todes der ersten Iteration nicht der zweiten verraten. »Nun ja«, sagte sie, »natürlich warst du wie jeder normale Mensch erst ein kleines Kind. Dann bist du
zum Teenager herangewachsen, aber ich glaube, zur damaligen Zeit bedeutete es etwas anderes, ein Teenager zu sein, als heute. Danach wurdest du zum Mann. Zu einem sehr guten Mann.«
Die merkwürdige Antwort schien ihn zu befriedigen. »Und wie war ich gut?«
»So wie du jetzt gut bist. Du warst freundlich und großzügig und tapfer und klug und … na ja, du warst einfach sehr, sehr anständig.«
Sein Gesicht hellte sich immer mehr auf, und Janie wurde mutiger. Ruhig fuhr sie mit ihrer Erklärung fort. »Du wurdest um das Jahr 1325 in Spanien geboren«, sagte sie, »in einer kleinen Stadt namens Cervere. Dein Name war Alejandro Canches.«
»Alejandro Canches«, flüsterte er ehrfürchtig. »Hast du mich deswegen Alex genannt?«
»Ja.«
»Wer waren meine Mutter und mein Vater?«
»Dein Vater hieß Avram. Deine Mutter …« Janie sah ihn ratlos an. »Ich weiß es nicht«, gestand sie schließlich. »Du hast … ich meine, ich habe nichts gelesen von ihr.«
Alex setzte an, etwas zu sagen, aber dann überlegte er es sich offenbar anders und fragte stattdessen: »Wo hast du was über mich gelesen?«
Janie wusste, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit sagen konnte; er würde sofort das Journal lesen wollen. Aber er war noch zu jung, um alle Details aus seinem vormaligen Leben zu erfahren - seine Not und seine Verluste, die
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