Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
lange Trennung von den Menschen, die er liebte, die schrecklichen Verbrechen, die er beging, um sich und seine Nächsten zu schützen. Daher sagte sie: »In einem alten Buch. Ich hielt dich für einen faszinierenden Menschen. Eine Frau, die ich in der alten Zeit kannte, hatte ein Haar und ein paar Hautschuppen von dir. Sie gab mir beides, und ich habe daraus das Material gewonnen, das ich für den Nukleustransfer brauchte.«
Seine Augen glänzten vor Aufregung: »Was habe ich gemacht, als ich erwachsen war?«
»Du warst Arzt. Damals nannte man es ›Medicus‹.«
Er klatschte in die Hände. »Genau das, was ich werden will!«
»Ja.« Sie freute sich über seine Ausgelassenheit. »Aber damals war die Medizin anders als heute. Du hast in Frankreich deine Ausbildung gemacht, in einer Stadt namens Montpellier, und bei einigen sehr berühmten Lehrern studiert. Einer von ihnen hieß de Chauliac. Er war der Leibarzt von zwei Päpsten, und er lebte in Avignon, wie du auch eine Zeit lang. Er wurde schließlich dein bester Freund, so wie du heute Sarahs bester Freund bist.«
Du warst, du bist … Es fiel ihr auf einmal außerordentlich schwer, die richtige Formulierung zu finden.
Alex allerdings hatte keinerlei Schwierigkeiten, sich mit seinem Leben in der Vergangenheit zu befassen.
»Kannte ich die Päpste auch?«
»Ich glaube nicht.« Sie wollte schon hinzufügen: Du hast nichts davon geschrieben, mit ihnen persönlich gesprochen zu haben, behielt es dann aber für sich.
Alex sprang von ihrem Schoß und setzte sich an den Computer. Er rief ein Archiv mit Landkarten auf und öffnete die Abteilung Europa.
»Wie schreibt man Cervere?«, fragte er.
Janie buchstabierte es, und Alex startete eine Suche nach der Stadt.
»Da ist es!«, rief er begeistert. Sie sahen sich die Karte an. »Und wie hieß der andere Ort noch mal?«
»Avignon«, sagte sie und buchstabierte auch das. Sie zog mit dem Finger eine unsichtbare Linie zwischen den beiden Städten. »Du bist entlang dieser Route von Cervere nach Avignon gereist.«
»Das liegt in Frankreich«, sagte er.
»Ja. Du hast Französisch gesprochen, aber auch eine Reihe
anderer Sprachen. Zu dieser Zeit waren die Leute dazu gezwungen, weil sie mit Menschen aus allen möglichen Ländern Umgang hatten.«
»Welche Sprachen habe ich gesprochen?«
»Latein, das war die Sprache, in der man damals studiert hat - und du hast viel Zeit in deinem Leben mit Studieren verbracht. Und Hebräisch, weil das die Sprache war, die deine Eltern sprachen. Englisch hast du zu einer Zeit gelernt, als es gerade erst anfing, sich zu verbreiten. Es unterscheidet sich von dem heutigen Englisch, aber im Grunde ist es dieselbe Sprache.«
»Was ist daran denn anders?«
»Na ja, Sprachen ändern sich eben im Laufe der Zeit.«
»Warum?«
Tja, warum eigentlich? »Warte, ich gebe dir ein Beispiel. Wo ist die CD mit der klassischen Literatur?«
Er sprang von seinem Stuhl und kramte in einem Regal neben dem Computer herum, bis er schließlich die gesuchte CD herauszog. Er steckte sie in den Computer, und Janie suchte die Canterbury-Erzählungen heraus.
»Hier, sieh dir das an«, sagte sie.
Ein Doktor der Physik war auch dabei;
Im Reden von Physik und Arzenei
Da gab’s so einen in der Welt nicht mehr …
Er kämpfte beim Lesen mit den unbekannten Worten.
»Das ist das Englisch aus Alejandros Zeit. Der Erzähler berichtet von einem Arzt.«
Er dachte, ohne es zu sagen: Der uns erzählt von einem Ritter, der seine eigene Tochter lieber tötet, als sie einem Mann zu geben, der ihr die Ehre raubt …
»Das hört sich nicht an wie Englisch.«
»Ist es aber. Sprachen wachsen mit der Zeit. Und soll ich dir noch etwas verraten? Du kanntest den Mann, der diese Worte niedergeschrieben hat. Sein Name war Geoffrey Chaucer.«
»Echt?«
»Ja, wirklich.«
Alex wurde einen Moment lang ganz still, so, als dächte er über die Implikationen all dessen nach, was seine Mutter ihm gerade erzählt hatte. Sein Ton war ernster, als er wieder sprach: »Warum erinnere ich mich an nichts von alldem?«
Das war eine Frage, über die sie noch gar nicht nachgedacht hatte.
»Ich weiß es nicht, Alex. Du bist noch sehr jung.« Sie dachte an Kristina, die keinerlei Erinnerungen an ihre vorherige Iteration hatte.
Die vage Antwort schien ihren Sohn nicht zu stören. Sein Gesicht hellte sich wieder auf. »Wow«, rief er. »Ich habe schon mal gelebt!«
Bevor sie nach Orange aufbrachen, gaben sie den Pferden viel zu saufen,
Weitere Kostenlose Bücher