Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Rue des Juifs hierher begleitet hatte.
Er weckte den schlafenden Knaben und hob ihn zu dem Soldaten hinunter, der ihn mit größerer Behutsamkeit auf dem Boden absetzte, als Alejandro erwartet hätte. Er fragte sich, ob de Chauliac dem Soldaten anvertraut hatte, wer das Kind eigentlich war, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Dieses Wissen würde ein so vorsichtiger Mann wie de Chauliac nur dann weitergeben, wenn es unbedingt erforderlich wäre.
Nachdem Alejandro abgestiegen war, nahm der Soldat die Zügel des Pferdes. Er deutete auf die offen stehende Tür und sagte: »Monsieur wird in Kürze kommen. Wartet drinnen, aber entfernt Euch bitte nicht von der Tür.«
Der Medicus zögerte, aber der Soldat bedeutete ihm erneut, durch die Tür zu treten, und nickte beruhigend. Sie traten ein, und sobald sich die Tür geschlossen hatte, hörten sie die Hufschläge auf dem steinernen Pflaster, als das Pferd weggeführt wurde. Sanfte Dunkelheit umhüllte sie, und Alejandro konnte das Schlagen seines Herzens hören, das sogar das stete Tropfen von Wasser irgendwo ein Stück weiter den Gang hinunter übertönte. Guillaume klammerte sich stumm an das Bein des Arztes. Alejandro spürte, wie der Knabe zitterte, und drückte ihn fest an sich. Nach ein paar Augenblicken, die ihnen wie Stunden erschienen, hörten sie leise Schritte. Ein schwacher Lichtschein fiel in den Gang; er wurde mit jedem Schritt heller. Bald darauf war die Gestalt nahe genug, dass man sie sehen konnte, aber sie konnten ihr Gesicht hinter dem Licht der Fackel nicht erkennen.
Was, wenn das nicht de Chauliac war? Alejandro zog Guillaume noch dichter an sich und tastete erneut nach dem Griff seines Dolches.
Die Gestalt blieb ein paar Schritte vor ihnen stehen. Sie hielt die Fackel in die Höhe und zwang Alejandro, seine Augen mit einer Hand zu beschirmen. Als die Gestalt nicht gleich etwas sagte, zog Alejandro den Dolch aus der Scheide. Das Geräusch,
mit dem die Klinge über das Leder schabte, klang in der sie umgebenden Stille so laut wie Donnergrollen.
Ein leises Lachen war zu vernehmen - eines, das Alejandro auf der Stelle erkannte.
»Ihr werdet dieser Waffe nicht bedürfen, Kollege.«
Alejandro konnte de Chauliacs Lächeln nicht sehen, aber er erahnte es.
»Nach wie vor stets bereit, dem Feind entgegenzutreten«, sagte der Franzose. »Gott segne Euren Mut. Ihr solltet allerdings bedenken, dass Ihr nicht mehr so jung seid wie einst. Aber ich muss sagen, für einen Mann Eures Alters seht Ihr recht passabel aus.«
Erleichterung überkam Alejandro, und er sagte: »Ich würde von Euch ja das Gleiche sagen, könnte ich Euer Gesicht sehen. Und darf ich Euch daran erinnern, werter Kollege, dass Euer Alter ein wenig weiter fortgeschritten ist als das meine. Man muss sich doch fragen, ob es einen Grund dafür gibt, dass Ihr Euch hinter dieser Fackel verbergt.«
Als die Fackel gesenkt wurde, fiel ihr Licht auf die gleiche gebieterische Gestalt, die er zum letzten Mal in der Nacht von Guillaumes Geburt in Paris gesehen hatte. De Chauliacs gemeißelte Gesichtszüge waren von weiteren Furchen durchzogen, und sein Haar war inzwischen nahezu weiß, aber seine blauen Augen ließen denselben scharfen Verstand erkennen wie ehedem.
De Chauliac trat einen Schritt vor und legte Alejandro zur Begrüßung eine Hand auf die Schulter. »Ich freue mich, Euch wiederzusehen, Doktor«, sagte er mit unverkennbarer Aufrichtigkeit. »Manches Mal habe ich mich nach Eurer Gesellschaft und dem Gespräch mit Euch gesehnt.« Er beugte sich vor und strich dem Kind über den Kopf. »Und du, Master Guillaume, bist zu einem recht hübschen Knaben herangewachsen.«
Guillaume blickte zu Alejandro auf, als wolle er fragen: Wer ist dieser Mann, den ich nicht kenne, der aber mich zu kennen scheint? Alejandro beugte sich zu ihm und sagte: »Monsieur
de Chauliac ist uns beiden ein treuer Freund gewesen und hat mir sehr oft geholfen.«
»Ich war am Tag deiner Geburt zugegen«, sagte der Franzose zu dem Knaben.
Guillaume sah überrascht zuerst Alejandro an, dann de Chauliac. »Ihr kennt meine Mutter?«, fragte er aufgeregt.
De Chauliac warf Alejandro einen raschen Blick zu. Als dieser zustimmend nickte, sagte der Franzose: »Ja, ich kenne sie. Sie ist eine gute Frau, und ihr Herz wäre von Stolz erfüllt, wenn sie ihren prächtigen Sohn sehen könnte. Aber wir werden später noch über sie sprechen. Jetzt sollten wir uns schleunigst in meine Gemächer begeben.«
»Ist das ratsam?«,
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