Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Lager für dich umsehen …«
Der Knabe ließ sich gehorsam in eine Schlafkammer führen. Alejandro sah durch die offene Tür zu, wie de Chauliac Guillaume auf eine Lagerstatt bettete.
»Er scheint Euch zu vertrauen«, sagte er, als de Chauliac wieder zu ihm trat.
»Der Knabe folgt Eurem Beispiel - in allen Dingen, hat man
den Eindruck.« Er deutete auf den schimmernden Tisch, den Guillaume kurz zuvor bewundert hatte. »Ihr wisst Schönheit ebenfalls zu schätzen. Doch nun nehmt Platz, Kollege. Es gibt viel zu besprechen.«
Alejandro tat wie geheißen; de Chauliac trat an den Tisch und griff nach einem Stapel Schriftstücke, nachdem er zuvor die steinernen Gewichte von beiden Enden entfernt hatte, die verhindern sollten, dass sich das Pergament aufrollte, wie es in der feuchten Luft von Avignon leicht geschehen konnte. Er kehrte mit den Schriftstücken zu Alejandro zurück und reichte sie ihm.
Alejandro nahm sie mit verwirrter Miene und legte sie auf seinen Schoß. Er las die ersten Zeilen auf dem zuoberst liegenden Pergament:
Im Namen Gottes beginnet hiermit das Inventarium oder die Sammlung medizinischen Wissens auf dem Gebiete der Wundarznei, zusammengetragen und vollendet im Jahre des Herrn 1363 von Guy de Chauliac, Medicus und Doktor der Physik, nach den Erkenntnissen der berühmten Universität Montpellier …
Er blickte verwundert auf. »Kollege … was für einen Schatz habt Ihr hier?«
»Ein Handbuch der Wundarznei«, erwiderte de Chauliac mit stillem Stolz. »Ich habe zu guter Letzt damit begonnen.«
Alejandro blätterte einige Seiten um, auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck der Freude und des Staunens, de Chauliac gebot ihm jedoch Einhalt, indem er eine Hand auf den Stapel legte.
»Das ist der Grund, den ich Seiner Heiligkeit genannt habe, um die Notwendigkeit meiner Reise nach Paris darzulegen. Wenn es an der Zeit ist, werden wir dieses Werk ausführlich erörtern. Im Augenblick gibt es jedoch dringlichere Dinge, über die wir sprechen müssen.«
Kate legte die elfenbeinernen Kämme so zurecht, wie es ihre Schwester Isabella gern hatte. Sie betrachtete die auf dem bestickten Seidentuch ordentlich aufgereihten Kämme und fragte sich, ob Isabella jemals einen davon mit ihren eigenen Händen berührt hatte, da sie stets von einer der vielen Frauen frisiert wurde, die in den königlichen Gemächern um die Prinzessin herumgluckten und sich beeilten, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Ihre Welt besteht aus Salben und Seide und Spitze, dachte Kate. Sie weiß nicht das Geringste über die Menschen, die jenseits dieser Mauern leben.
Sie verrückte einen der Kämme mit der Fingerspitze, bis er ein klein wenig schief neben seinen Kameraden lag. Es war eine winzige Geste der Auflehnung, aber sie würde ihre ältere Halbschwester in heftige Wut versetzen. Sie bedauerte es, dass sie nicht würde dabei sein können, aber bis dahin sollten die Soldaten sie wieder abgeholt haben. Die arme Nurse - die gute, ehrenwerte, treue Nurse - würde den Zornesausbruch über sich ergehen lassen müssen, obwohl die Königin Isabella angewiesen hatte, die alte Kinderfrau mit etwas mehr Rücksicht zu behandeln. Diese Anweisung pflegte die Prinzessin - die einzige heiratsfähige Tochter König Edwards und seiner rechtmäßigen Gattin - zu ignorieren. Trotz aller Bemühungen der Nurse war Isabella ihrem Vater sehr viel ähnlicher als der Mutter; sie war eine herrische, selbstsüchtige und launische Frau, stets bestrebt, sich das zu verschaffen, wonach ihr gerade der Sinn stand. Sie trug ihre Überheblichkeit so sichtbar zur Schau wie eine Hure ihre Schminke und erlegte sich niemals auch nur die geringste Zurückhaltung auf.
Bei aller Wesensverwandtschaft zeigte Isabella, was das Aussehen betraf, jedoch kaum Ähnlichkeit mit ihrem Vater, König Edward. Ebenso wenig mit Kate, die seit ihrer Entführung aus Paris durch die Gefolgsleute ihres Halbbruders nie einen Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr sie Edward - und Isabella - verabscheute.
Als es an der Tür klopfte, wusste sie, dass es der König war,
und sie fragte sich, weshalb er sich überhaupt die Mühe machte, da er nie auf die Aufforderung einzutreten wartete. Er trat ohne Zögern einfach ein, um den täglich wiederholten Versuch einer Aussöhnung zu unternehmen, obgleich sie beim besten Willen nicht verstehen konnte, warum er auf ihre Verwandtschaft auf einmal so viel Wert legte, nachdem er sie jahrelang verleugnet hatte.
»Ihr könnt Euch nächstes Mal die Mühe des
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