Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
vor vielen Jahren dort war, und sie war mehr als eine Freundin für mich; sie war es, die ihm beistand, als er mich ins Leben zurückholte, nachdem mich zur Zeit des großen Sterbens die Pest aufs Krankenlager geworfen hatte, und sie war es, die mich vor den Gehässigkeiten meiner grausamen Schwester schützte. Er vergoss bittere Tränen an ihrem Grab, und es gab nichts, womit ich ihn trösten konnte. Als wir Canterbury heimlich wieder verließen, schien es jedoch, als hätte er endlich Frieden gefunden, als wäre eine Last von ihm genommen.
In Dover erkundigten wir uns so unauffällig wie möglich nach den Verhältnissen in Calais, und wir erfuhren, dass sich dort nach wie vor viele englische Truppen aufhielten, wie im April, als Père die Überfahrt nach England angetreten hatte, und daher entschieden wir, es sei klüger, statt nach Calais an die bretonische Küste überzusetzen. Diese Entscheidung machte mir das Herz schwer, da die Seereise sehr viel länger dauerte und wir weiter entfernt von Paris an Land gehen würden. Doch Père überzeugte mich davon, dass unserer Flucht gewiss mehr Erfolg beschieden sei, wenn wir keine englische Garnison passieren müssten; da wir auf solch verschlungenen Wegen reisten, hatte die Nachricht von unserer Flucht reichlich Zeit gehabt, la Manche zu überqueren, bevor wir selbst es tun konnten.
Und so fuhren wir mit dem Schiff im Süden über die Meerenge in die Bretagne, und ich litt gehörig unter der Seekrankheit. Als wir endlich wieder an Land gingen, fiel ich auf die Knie und küsste den Boden! Wir kauften zwei gute Pferde und machten uns auf den Weg nach Nantes, das sich als eine reizende Stadt erwies. Die Bretonen betrachten sich weder als Franzosen, noch sind sie mit England verbündet, das derzeit Anspruch auf dieses Gebiet erhebt. Sie sind vor allem Bretonen, mit einer eigenen Sprache und einer eigenen Denkart, und dafür bewundere ich sie. Ich vermute, dies ist es, was dem König zu schaffen macht; er hatte gehofft, mit der Hilfe Benoîts dort Fuß fassen und sich gegen die Familie de Rais behaupten zu können. Dies ist misslungen, Gott sei dafür gedankt.
Ich fand diesen Ort so anziehend, dass ich mir vorstellen könnte, dort zu leben, sobald unsere Angelegenheiten in Paris geregelt sind und sofern Père damit einverstanden ist. Wir könnten ein gutes Leben führen und müssten keinen Verrat fürchten, da keiner dort diejenigen liebt, die unserer habhaft werden wollen.
Eine Ewigkeit, wie es schien, ritten wir über Land. Die letzte Nacht vor unserer Ankunft in Paris verbrachten wir in dem kleinen Dorf Versailles …
»Morgen«, sagte Kate sehnsüchtig. Sie legte den Kopf auf ihren zusammengerollten Umhang. »Morgen werde ich meinen Sohn sehen. Mein Herz ist so übervoll, dass ich mich kaum noch zügeln kann! Père, sagt mir - wie soll ich mich verhalten, wenn ich ihn sehe? Er kennt mich nicht, genauso wenig wie ich ihn.«
Alejandro beruhigte sie, so gut er es vermochte. »Seit er klein war, erzählte ich ihm jede Nacht von seiner wunderbaren Mutter. Ich beschrieb ihm, wie du aussiehst und den Klang deiner Stimme, ich beschrieb ihm dein Wesen, und das alles sehr ausführlich.«
»Aber er sah mich noch nie«, wiederholte sie.
»Deshalb wird er dich nicht weniger lieben. Ich hielt dich Tag für Tag in seinem Geist lebendig; er verwahrt dort ein Bild von dir, an das er sich wendet, wenn er des Trostes und des Zuspruchs bedarf. Das Erste, was er mich fragte, als ich ihm von meiner Reise nach England berichtete, war, ob ich dich mit zurückbringen würde.«
Nichts an ihrer Miene ließ darauf schließen, dass seine Worte sie zu beruhigen vermochten.
»Du sahst ihn ebenfalls noch nie«, fuhr er fort. »Ändert das etwas an dem, was du empfinden wirst, wenn dies glückliche Ereignis endlich stattfindet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber was soll ich tun, wenn er mich nicht mag?«
Alejandro lachte leise und strich ihr übers Haar. »Das ist völlig ausgeschlossen. Er wird dich genauso lieben wie ich, das verspreche ich dir.«
Er sprach nicht von seinen eigenen Ängsten, der bangen Frage, wie es sein würde, wenn Philomène ihn nach so vielen Wochen der Trennung wiedersah. Würde sie ihn erneut in ihren Armen und in ihrem Bett willkommen heißen, oder hatte die Zeit Zweifel in ihrem Herzen gesät?
Bald würde er es erfahren.
Sie kamen bei Nacht in Paris an, passierten unauffällig ein offenes Tor im Westen der Stadt. Es gab keine Wachtposten, die ihnen Fragen
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