Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Geschichte seiner Freveltat und der anschließenden Flucht nach Avignon musste warten, bis er sicher sein konnte, dass sie ihn nicht verraten würde und, was vielleicht genauso wichtig war, dass sie sich nicht von ihm abwenden würde. Er beschränkte sich auf das, was er für die beste Erklärung hielt.
»Wohl vor allem«, sagte er, »weil wir Juden waren. Es gab noch andere Ränke - mein Vater war Geldverleiher, und der eine oder andere Spanier versuchte stets, ihn um seinen rechtmäßigen Gewinn zu betrügen.«
Vor allem ein Spanier, der zufällig Bischof war.
Sie schwieg einen Augenblick respektvoll. »Dennoch wolltet Ihr in England bleiben«, sagte sie dann, »obwohl man dort die Juden hasst …«
»Ja«, sagte er mit leiser Stimme. »Seht Ihr, es gab dort eine Frau.« Er hielt kurz inne und senkte den Blick. »Wir waren einander versprochen. Ich dachte, ich könnte vielleicht einen Weg finden, meinen Vater zu uns zu holen. Aber es sollte nicht sein.«
Als er wieder aufblickte, sah ihn Philomène mit aufrichtigem Mitgefühl an. Einen Moment lang meinte er Tränen in ihren Augen zu erkennen. »Ich danke Euch für Eure Offenheit«, sagte sie. »Ich habe von Vater Guy gehört, was anschließend in Frankreich geschah. Eure Geschichte fesselt ihn. Er hält Euch für einen höchst bemerkenswerten Mann und schätzt sich glücklich, Euch zu kennen.«
»Genauso denke ich über ihn.« Er straffte die Schultern. »Nun habe ich Euch von meiner recht traurigen Geschichte berichtet … ich hoffe sehr, dass die Eure angenehmer ist. Aber zuvor müsst Ihr mir erzählen, was es mit de Chauliacs Priesterschaft auf sich hat. Es scheint so gar nicht zu diesem Mann zu passen; er lässt sich fast zu sehr von der Vernunft leiten.«
»Glaube und Vernunft widersprechen einander nicht unbedingt«, erwiderte sie. »Ihr seid ein Mann der Wissenschaft und zugleich ein Mann des Glaubens. De Chauliac ist da nicht anders. Man meint nur immer, ein Priester sei jemand, der sein Leben ganz und gar Gott gewidmet hat.«
»Ich bin bisher kaum jemals einem Priester begegnet, der die Fähigkeit zu vernünftigem Denken erkennen ließ.«
»Anders Vater Guy. Wir stammen aus derselben Gegend in
der Provence«, sagte sie. »Ich war noch sehr jung, als er in unsere Pfarrei kam, bevor er seine Studien in Montpellier wieder aufnahm. Er erfreute sich großer Beliebtheit, weil ihm unsere spirituellen Bedürfnisse so sehr am Herzen lagen, und dennoch fürchteten wir ihn alle, wenn es Zeit für die Beichte war. Die Bußen, die er auferlegte, konnten zermürbend sein. Viele Jahre später - nachdem er nach Montpellier gegangen war - erzählte mir meine Mutter, dass er mit dem Leben als Geistlicher niemals ganz zufrieden schien, dass sein überaus wacher Verstand ihn nach mehr streben ließ.«
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Auf diese Weise hat Vater Guy mich geleitet. Ich glaube, jetzt beschützt er mich, weil er sich für das, was ich tat, verantwortlich fühlt.«
Er wartete auf ein weiteres Bekenntnis, und als es nicht erfolgte, fragte er: »Und was tatet Ihr, das ihn dazu veranlasst, ein Auge auf Euch zu haben?«
»Ich verkleidete mich als Mann und ging nach Montpellier, um Medizin zu studieren.«
»Aber es ist Frauen untersagt, diesen Beruf auszuüben. Nicht dass ich dieses Verbot gutheiße …«
Bevor er den Satz beenden konnte, unterbrach sie ihn mit einem leisen Lachen, in dem Verbitterung mitschwang. »Diese Worte habe ich wohl tausendmal gehört. Mittlerweile gehe ich mit ihnen um wie mit lästigen Fliegen - ich verscheuche sie einfach.« Dann wurde sie wieder ernst. »Meine Eltern waren entsetzt«, sagte sie. »Sie weigerten sich, mit mir zu sprechen; oftmals hatte ich das Gefühl, überhaupt keine Familie mehr zu haben. Wir waren nicht wohlhabend, aber es ging uns gut - mein Vater war Silberschmied, und er verdiente genug für ein bequemes Leben. Zu seinen Kunden zählten die besten Familien der Provence. Was mich betraf, hofften sie natürlich auf eine vorteilhafte Heirat. ›Du bist fleißig und klug, anmutig und wohlerzogen‹, pflegte mein Vater zu sagen, ›und du kommst aus einer gut gestellten Familie. Und dennoch hat noch niemand um deine Hand angehalten.‹ Das war alles, woran
er dachte, mich gut verheiratet zu sehen. An dem, was ich vollbrachte, lag ihm nicht das Geringste.«
»Aber gewiss lag ihm an Euch …«
»Auf seine Weise.«
»Ich spreche aus eigener Erfahrung; es ist keine einfache Aufgabe, Vater einer begabten
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