Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
gelungen, mit Philomène, der Retterin des verwundeten Soldaten, zu sprechen.
Sie waren alle müde und erschöpft. Guillaume klammerte sich an Alejandros Rücken, aber er war unruhig und rutschte herum, ganz und gar nicht mehr der gute Reiter, der er bisher gewesen war.
Die Leiche des getöteten Soldaten lag über dem Rücken seines Pferdes. Wir werden ihn in Digoin begraben, hatte de Chauliac erklärt, und als sie jetzt weiterritten, überkam Alejandro unwillkürlich der Gedanke, wie sinnlos das alles war.
Die Räuber hatten von keinem von ihnen auch nur einen Sou erbeutet, aber ein Mann hatte sein Leben verloren, und ein zweiter war lebensgefährlich verwundet worden.
Philomène ritt mit an der Spitze des Zuges; Alejandro sah sie direkt hinter de Chauliac, der ihr hin und wieder einen Blick zuwarf, als wolle er sich ihres Zustands vergewissern. Alejandro wusste, dass sie tief erschüttert war; er hatte es ihrem Gesicht angesehen, als der Kampf sich dem Ende näherte. Als sie ihr Pferd bestiegen hatte, um die Reise fortzusetzen, hatten ihre Hände gezittert.
Der Hauptmann der Garde hielt sie zu einem raschen Tempo an; sie hatten durch den Kampf eine Stunde verloren, und der verwundete Soldat musste so schnell wie möglich an einen geschützten Platz gebracht werden. Auf dem Weg nach Digoin kamen sie an dem einen oder anderen Bauernhaus vorbei, und Alejandro konnte beobachten, dass der Hauptmann de Chauliac mehr als einmal fragend ansah, als bäte er um Erlaubnis, haltzumachen. Sie ritten jedoch weiter, und bald sahen sie die kleine Stadt in einem Tal vor sich liegen. Zwischen den Bäumen ragte ein hoher Kirchturm auf. Alejandro vermutete, dass das ihr Ziel war.
Bei ihrer Ankunft in dem hübschen kleinen Kloster von Digoin gab es keinen solch ehrenvollen Empfang wie zuvor in den anderen Städten. De Chauliac kümmerte sich persönlich um die Unterbringung des Verwundeten, der unter seinen wachsamen Augen von einigen in Kutten gekleideten Mönchen hastig in das Kloster getragen wurde. Der Tote wurde von seinem verstörten Pferd gehoben und ebenfalls weggebracht, wenn auch mit weniger Eile. Als Alejandro Guillaume aus dem Sattel hob, bemerkte er, dass der Knabe unverwandt auf die Leiche des Mannes starrte.
Ihm wurde bewusst, dass das Kind zum ersten Mal den Tod zu Gesicht bekommen hatte. Alejandro ließ ihn zusehen, wie der Tote ins Kloster getragen wurde.
»Wohin bringen sie ihn, Grand-père?«
»Sie beerdigen ihn«, antwortete Alejandro. »Erst wird sein Körper gewaschen und in ein Tuch gehüllt, und dann wird er in der Erde begraben. Bald werden ihn die Engel im Himmel begrüßen.«
Der Knabe dachte eine Weile nach, dann stellte er eine schwierige Frage. »Habt Ihr schon einmal einen Engel gesehen?«
»Nein, Guillaume, sie scheinen lieber unter sich zu bleiben.«
»Woher wisst Ihr dann, dass es sie gibt?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Alejandro leise. »Ich glaube nur, dass es sie gibt. Wissen und Glauben sind oft zwei verschiedene Dinge. Ich glaube an Gott, aber auch Ihn habe ich noch nie gesehen, deshalb kann ich nicht wissen, ob es Ihn gibt. Aber ich sehe rings um mich Sein Werk, deshalb muss ich also der Logik gehorchend glauben, dass es Ihn gibt. Verstehst du, was ich meine?«
Das Kind nickte mit ernster Miene. Alejandro wusste, dass es nicht die Antwort war, die Guillaume hatte hören wollen, aber sie musste genügen.
»Das ist ein Bruchteil seines Werts«, rief die Frau des Böttchers von der Tür aus ihrem Nachbarn hinterher, der unter der Last eines großen eisernen Kessels langsam und gebeugt davonging. »Da habt Ihr einen guten Handel gemacht!«
Sie drehte sich um und ging durch die leeren Kammern ihres Hauses. Der Rest ihrer Besitztümer war bereits unter den Juden im Ghetto verteilt; sie hatte lange und verbissen mit ihnen gefeilscht, und schließlich war ihre Börse um einiges schwerer geworden. Morgen würde sie mit einem Fuhrwerk von Avignon nach Paris fahren, und anschließend ging es zu Pferd weiter mit einer Reisegesellschaft nach Calais - das war etwas ganz anderes als der Maulesel, auf dem sie vor mehr als zehn Jahren hinter ihrem Mann her aus der entgegengesetzten Richtung gekommen war. Gut gekleidet und gut genährt würde sie nach Eyam zurückkehren, und beim Anblick ihres offensichtlichen
Wohlstandes würde alles vergeben und vergessen sein. Sie würden sie in ihrer Mitte willkommen heißen. Wenn es sein musste, würde sie sich das Schweigen der anderen erkaufen,
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