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Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus

Titel: Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Himmel.
    »Vielleicht ist das ein Zeichen«, sagte Kristina und deutete nach oben.
    »Wofür?«
    »Dass wir leben werden.«

15
    Nachdem er das Schreiben zur Hälfte gelesen hatte, blickte Alejandro auf und sagte zu de Chauliac: »Man kann dies kaum als Brief bezeichnen. Es ist ein Gedicht.«
    Er las es de Chauliac vor.
    In einem Schlosse gefangen gar manches Jahr
Lebt’ eine Lady mit güldenem Haar.
Ihre Wächter, die Herzen so kalt wie Stein,
Sinnen für sie nun auf neue Pein.
Ein Gatte ist ihr bestimmt, von solcher Bosheit erfüllt,
Dass vor ihm sogar ein Engel das Antlitz verhüllt.

    Doch bevor heraufzieht, der erste Maientag,
Wird sie entfiehen Gefangenschaft und Plag.
Wird reiten, bis die Nacht dem Morgen muss weichen,
Und sich einfinden bei den beiden sich liebenden Eichen,
Die in inniger Umarmung Wache steh’n dort,
Wo der Eingang zu jenem verwunschenen Ort,
Den Licht und liebliche Klänge erfüllen,
Mag sich die Welt auch in dunkle Wolken hüllen.
Hier wird sie in Frieden verweilen,
Sodass der liebe Vater kann zu ihr eilen.
    »Gott, ich danke dir.« Das Pergament in Alejandros Hand zitterte.
    »Kollege?«, sagte de Chauliac mit besorgter Stimme. »Was ist Euch?«
    »Sie ruft nach mir, damit ich ihr zu Hilfe eile, endlich.« Alejandro sah seinem Mentor in die Augen. »Welcher Tag ist heute?«
    »Der sechste - nein, wartet -, der siebente April.«
    Alejandro legte den Brief auf das Bett und saß wie erstarrt auf seinem Stuhl.
    »Spannt mich nicht auf die Folter!«
    Allmählich ordneten sich die Gedanken, die Alejandro wild durcheinander durch den Kopf schossen. »Chaucer ist in Windsor, nicht wahr?«
    »Das sagte ich Euch schon. Aber was hat das für eine Bewandtnis?«
    »Ich glaube«, erwiderte der Jude mit wachsender Aufregung, »dass er dieses Gedicht hier verfasst hat. Wir unterhielten uns oftmals in englischer Sprache, und er weiß, dass ich sie auch lesen kann. Ich denke, dass Ihr recht habt, de Chauliac. Der König verstand diese Sprache damals kaum und konnte sie nicht lesen. In Frankreich vermögen die Menschen dies noch weniger, selbst Ihr, ein gebildeter Mann, versteht sie nicht. Chaucer weiß das und benutzte sie deshalb für eine geheime Botschaft,
die kaum einer außer mir entschlüsseln kann! Hört zu«, fuhr er fort. »Ich will Euch sagen, was sie bedeutet.«
    Seine Übersetzung war nicht wortgetreu, aber de Chauliac verstand den Sinn. »Am ersten Mai«, sagte er. Er richtete sich etwas höher auf. »Damit hat sie eine kluge Wahl getroffen. Es wäre ungewöhnlich, in dieser Nacht Soldaten des Königs auf freiem Felde anzutreffen, bei einer Frau dagegen ist daran nichts Auffälliges. Je nachdem, wie sie sich kleidet, wird man annehmen, dass sie an einer Feier teilnimmt; vielleicht hält man sie sogar für eine Hexe. Aber man wird sie in Ruhe lassen. Sehr klug, fürwahr.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Die Bauern dort waren nicht immer Christen«, erklärte sein Mentor. »Vor langer Zeit gab es dort Priester anderer Art, Heiden, deren Verehrung dem galt, was die Erde hervorbrachte, und nicht dem Himmel. Sie sind weitgehend verschwunden, aber ihre Bräuche sind im Volk tief verwurzelt. In der Nacht des dreißigsten April tanzen im Schein des Feuers die Jungfrauen mit bunten Bändern in der Hand um einen hohen Pfahl, und aus ihrer Mitte wird die Maikönigin gewählt. Der König duldet es, da es sein Volk glücklich macht - zumindest für diese eine Nacht.«
    »Drei Wochen«, sagte Alejandro so leise, dass es kaum zu hören war. Er sah de Chauliac an. »Ich muss sofort aufbrechen.«
    »Ja«, erwiderte de Chauliac ruhig. »Und dabei seid Ihr gerade erst zu uns zurückgekommen.«

    Alejandro fand Guillaume in der Dachkammer, wo er auf einem Stuhl am Fenster saß. Die Morgensonne, die durchs Fenster fiel, überzog alles mit einem warmen Schimmer und ließ das Haar des Knaben leuchten.
    »Was nimmt deine Aufmerksamkeit so gefangen, junger Mann?«
    »Ich lese die Biblios, die mir Monsieur de Chauliac gegeben hat.«

    »Ah ja. Ich muss ihm noch einmal dafür danken, dass er dir dieses Privileg gewährt.«
    Alejandro hatte die Bibel, die de Chauliac ihm viele Jahre zuvor hatte zukommen lassen, eine einfache lateinische Ausgabe, dazu benutzt, um Guillaume das Lesen beizubringen. Der erste Teil des dicken Buches war ihm vertraut, da es sich um die Lehren und die Geschicke seines eigenen Volkes handelte, aber der zweite Teil war neu für ihn gewesen. Als er diesen Teil zum ersten Mal las,

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