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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Körper.
     
    ***
     
    Auf einem menschenleeren Platz mit einem eingefrorenen Brunnen in der Mitte bleiben wir stehen. Hilal atmet schnell, und wenn sie damit nicht aufhört, wird das Zuviel an Sauerstoff ihr das Gefühl geben zu fliegen. Eine künstlich hervorgerufene Trance, die mich nicht mehr beeindruckt. Hilal ist jetzt die Zeremonienmeisterin eines mir unbekannten Spektakels. Sie bittet uns, einander die Hände zu geben und auf den Brunnen zu blicken.
    »Allmächtiger Gott«, sie atmet weiterhin schnell, »schicke deine Botschafter jetzt zu deinen Kindern, die sie hier reinen Herzens erwarten.«
    Sie fährt mit diesem sehr bekannten Bittgebet fort. Ich bemerke, dass Tatianas Hand zu zittern beginnt, als würde auch sie in Trance geraten. Hilal scheint mit dem Universum in Kontakt zu sein oder mit dem, was sie vorhin »Informationsfeld« genannt hat. Sie betet weiter, Tatianas Hand hört auf zu zittern und drückt meine. Zehn Minuten später endet das Ritual.
    Ich weiß nicht recht, ob ich sagen soll, was ich denke, aber dann finde ich, dass diese junge Frau, die so großzügig und voller Liebe ist, es verdient hat.
    »Was hatte das zu bedeuten?«, frage ich.
    Die Frage scheint sie zu verwirren.
    »Das ist ein Ritual, um uns den kosmischen Kräften näher zu bringen«, erklärt sie.
    »Und woher hast du das?«
    »Aus einem Buch.«
    Soll ich weitersprechen oder warten, bis wir wieder allein sind? Da es auch Tatiana betrifft, beschließe ich fortzufahren.
    »Bei allem Respekt für deine Bemühungen und für den Autor dieses Buches bin ich doch der Meinung, dass du da etwas ganz falsch verstanden hast. Was soll dieses Ritual? Es gibt Millionen und Abermillionen Menschen, die davon überzeugt sind, mit dem Kosmos kommunizieren zu können und damit die Menschheit zu retten. Jedes Mal, wenn es nicht funktioniert - und so kann es nicht funktionieren -, schwindet ihre Hoffnung ein wenig mehr. Bis zum nächsten Buch oder Seminar, das ihren Glauben wieder festigt, dessen Lektionen sie jedoch nach wenigen Wochen bereits vergessen haben - einmal mehr eine vergebliche Hoffnung.«
    Hilal wirkt überrascht. Sie wollte mir etwas zeigen, das nichts mit ihrer Begabung fürs Geigespielen zu tun hat, ist damit aber auf ein gefährliches Terrain geraten, das einzige, auf dem meine Toleranz gleich null ist. Tatiana scheint mich reichlich grob zu finden, denn sie versucht, ihrer neuen Freundin beizuspringen:
    »Aber Gebete bringen uns doch Gott näher, oder?«
    »Ich werde mit einer anderen Frage antworten: Werden all die Gebete, die du sprichst, morgen die Sonne aufgehen lassen? Selbstverständlich nicht. Die Sonne geht auf, weil sie dem Gesetz des Universums gehorcht. Gott ist bei uns, ganz unabhängig von den Gebeten, die wir sprechen.«
    »Willst du damit sagen, dass Gebete nutzlos sind?«, entrüstet sich Tatiana.
    »Nicht im mindesten. Wenn du nicht zeitig aufstehst, wirst du nie die Sonne aufgehen sehen. Wenn du nicht betest, kann Gott dir nah sein, doch du wirst niemals seine Gegenwart spüren. Aber wenn du glaubst, dass solche Bittgebete allein dich irgendwo hinführen, dann wärst du besser gleich in die Sonorische Wüste gegangen oder in einen Aschram nach Indien. In der realen Welt ist Gott in Hilals Geigenspiel gegenwärtiger.«
    Tatiana bricht in Tränen aus. Hilal und ich warten verlegen, bis sie aufgehört hat zu weinen und sagt, was los ist.
    »Danke«, sagt sie. »Auch wenn das Ganze deiner Meinung nach sinnlos ist - mir hat es etwas gebracht. Ich bin so oft verletzt worden, und trotzdem denke ich immer, ich müsste nach außen hin so tun, als sei ich der glücklichste Mensch der Welt. Erst heute, als ihr mich bei der Hand genommen habt, spürte ich: Ich bin nicht allein, auch meine Erfahrungen sind von Bedeutung. Ich fühlte mich geliebt, nützlich, wichtig.«
    Und zu Hilal gewandt fährt sie fort:
    »Sogar als du begonnen hast, uns durch diese Stadt zu führen, mich, die ich hier geboren bin und mein ganzes Leben hier verbracht habe, fühlte ich mich keineswegs beleidigt. Ich war zuversichtlich, dass mir jemand etwas zeigen würde, das ich nicht kenne. Tatsächlich habe ich diesen Brunnen noch nie zuvor gesehen. Doch von nun an werde ich immer, wenn es mir nicht gutgeht, hierherkommen und Gott bitten, mich zu beschützen. Mir war klar, dass dieses Gebet nichts Besonderes war. Ich habe in meinem Leben schon oft ähnliche Gebete gesprochen, bin aber nie erhört worden, nur mein Glaube verlor tatsächlich jedes Mal

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