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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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unbesiegbar, weil niemand gegen irgendjemanden kämpft, nur gegen sich selbst. Besiege dich selbst, und du wirst die Welt besiegen.<
    Ja, genau das tue ich jetzt. Mein Blut pocht in meinen Adern, Schweiß rinnt in meine Augen und macht mich für den Bruchteil einer Sekunde blind. Doch mein Gegner nutzt seinen Vorteil nicht. Zwei Körperbewegungen, und er liegt auf dem Boden.
    »Tun Sie das nicht«, sage ich. »Ich bin kein Kind, das man gewinnen lässt. Mein Kampf findet gerade auf einer anderen Ebene statt. Lassen Sie mich nicht gewinnen ohne die Genugtuung, der Bessere zu sein.«
    Yao versteht das und entschuldigt sich. Schließlich ist das kein Kampf, sondern wir praktizieren den Weg des Friedens. Als Yao diesmal meinen Kimono packt, mache ich mich auf einen Stoß von rechts gefasst, doch er leitet in letzter Sekunde nach links ab, nimmt meinen Arm und dreht ihn mir auf den Rücken, so dass ich in die Knie gehen muss, damit er ihn mir nicht bricht.
    Trotz des Schmerzes fühle ich mich besser. Der Weg des Friedens sieht zwar aus wie ein Kampf, ist es aber nicht. Er ist die Kunst, in sich aufzufüllen, was fehlt, und zu reduzieren, wovon es zu viel gibt. Darauf verwende ich jetzt meine ganze Energie. Und allmählich verlässt meine Phantasie das Bett, die Frau mit den kleinen Brüsten und harten Brustwarzen, die meine Hose öffnet und meinen Penis streichelt. Dieser Kampf ist ein Kampf gegen mich selbst, den ich unbedingt gewinnen muss, auch wenn ich unzählige Male falle und wieder aufstehen muss. Die Küsse, die niemals gegeben wurden, die Orgasmen, zu denen es nie gekommen ist, die Liebkosungen nach hingebungsvollem, heftigem, romantischem Sex - all das verschwindet.
    Ich befinde mich auf dem Weg des Friedens und gebe meine ganze Energie in den Fluss, der keinen Widerstand leistet und der so seinem Lauf bis zum Ende folgen kann und das Meer erreicht, wie es für ihn vorgesehen ist.
    Ich stehe auf. Falle wieder. Wir kämpfen fast eine Stunde, ungeachtet der Menschen um uns herum, die alle gleichermaßen auf sich selbst konzentriert sind, auf der Suche nach der richtigen Position, die ihnen auch im täglichen Leben helfen wird, ihren Platz zu finden.
    Am Ende sind wir beide schweißgebadet und erschöpft. Yao verbeugt sich vor mir, und ich tue es ihm gleich, und wir machen uns auf in Richtung Dusche. Ich habe die ganze Zeit eingesteckt, doch davon ist an meinem Körper nichts zu sehen: den Gegner verletzen heißt sich selbst verletzen. Die eigenen Aggressionen beherrschen, um dem anderen nicht weh zu tun, das ist der Weg des Friedens.
    Ich lasse das Wasser über meinen Körper rinnen, wasche alles ab, was meine Phantasie angefüllt und wieder verlassen hat. Wenn das Begehren ein weiteres Mal kommt - und es wird kommen -, werde ich Yao bitten, wieder mit mir Aikido zu üben (und wenn wir im Zug dazu auf den Gang gehen müssen, wie wir’s schon einmal überlegt hatten), und den Weg des Friedens wiederfinden.
    Das Leben ist eine einzige lange Trainingsstunde in Vorbereitung dessen, was kommen wird. Leben und Tod verlieren ihre Bedeutung, es gibt nur noch Herausforderungen, die freudig angenommen und gelassen bewältigt werden müssen.
     
    ***
     
    »Es gibt da jemanden, der mit Ihnen sprechen möchte«, sagt Yao, während wir uns anziehen. »Ich habe ihm versprochen, dass ich mich für ihn einsetze, denn ich bin ihm einen Gefallen schuldig. Würden Sie das für mich tun?«
    »Aber wir reisen zeitig morgen früh ab«, erinnere ich ihn.
    »Er wird am nächsten Zwischenhalt auf Sie warten. Ich bin natürlich nur Ihr Dolmetscher. Wenn Sie nicht wollen, sage ich ihm, dass Sie beschäftigt sind.«
    Er ist nicht nur mein Dolmetscher, und das weiß er. Er ist ein Mensch, der spürt, wann ich Hilfe brauche, auch wenn er nicht weiß, warum.
    »Nein, das geht schon in Ordnung«, erwidere ich.
    »Wie Sie wissen, treibe ich schon mein ganzes Leben lang Kampfsport«, nimmt er das Gespräch wieder auf. »Als Ueshiba den Weg des Friedens entwickelte, ging es ihm nicht nur darum, einen physischen Gegner zu besiegen. Wenn der Wille dazu da ist, wird der Lernende auch seinen inneren Feind besiegen.«
    »Ich habe lange nicht mehr gekämpft.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht. Mag sein, Sie haben lange nicht mehr trainiert, aber der Weg des Friedens setzt sich in Ihnen fort. Haben wir ihn erst einmal zu gehen gelernt, vergessen wir ihn nie wieder.«
    Ich weiß, worauf Yao hinauswill. Ich hätte das Gespräch an dieser Stelle abbrechen

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