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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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irgendeinem Grund, den nur Er kennt, anhält. Aber da wir unmöglich immer nur in unserem Abteil bleiben können, gehen wir hin und her, von einem Leben ins andere, als würden sie alle nebeneinanderliegen. Als ich Hilal vor dem Hotel in Moskau traf, erwähnte sie eine Geschichte über ein Feuer auf einem Berg, die ich einmal geschrieben hatte. Aber es gibt noch eine Geschichte über ein heiliges Feuer, und die werde ich Ihnen jetzt erzählen.
     
    Der große Rabbi Yisrael Baal Shem Tov konnte eines Tages nicht länger mit ansehen, wie die Juden misshandelt wurden. Er ging in den Wald. Dort entzündete er ein heiliges Feuer und sprach ein besonderes Gebet, in dem er Gott bat, sein Volk zu beschützen. Und Gott schickte ein Wunder.
    Später ging sein Schüler, Maggid von Mezrich, den Schritten seines Meisters folgend, an dieselbe Stelle im Wald und sagte: »Meister des Universums, ich weiß nicht, wie ich das heilige Feuer entzünden soll, aber ich kenne noch das besondere Gebet; erhöre mich bitte.« Und das Wunder geschah aufs Neue.
    Eine Generation später ging Rabbi Moshe Leib von Sasow, als die Juden erneut verfolgt wurden, ebenfalls in den Wald und betete: »Ich weiß nicht, wie man das heilige Feuer entzündet, ich kenne auch das besondere Gebet nicht, aber ich erinnere mich noch an die Stelle. Hilf uns, Herr!« Und der Herr kam ihm zu Hilfe.
    Fünfzig Jahre später sprach Rabbi Israel von Rizin, der im Rollstuhl saß, mit Gott: »Ich weiß weder, wie man das heilige Feuer entzündet, noch kenne ich das Gebet und kann auch nicht zu dem Ort im Wald gehen. Ich kann nur diese Geschichte erzählen und hoffen, dass Du mich hörst.«
     
    Nun ist es nicht mehr die Göttliche Energie, die aus mir spricht, sondern ich bin es selbst. Doch auch wenn ich weder das heilige Feuer entzünden kann, noch weiß, weshalb es einmal entzündet wurde, kann ich doch wenigstens seine Geschichte erzählen. »Seien Sie nett zu ihr.«
    Hilal tut so, als hätte sie mich nicht gehört. So wie alle anderen übrigens auch.

Das Chicago Sibiriens
     
    Wir sind Seelen, die das Universum durchstreifen und gleichzeitig unser gegenwärtiges Leben leben, aber mit einer Ahnung, dass wir von einer Inkarnation zur nächsten übergehen. Alles, was unsere Seele einmal berührt hat, wird für immer erinnert und hat Auswirkungen auf alles, was folgt.
    Ich sehe Hilal voller Liebe an, einer Liebe, die über die Zeit hinweg (oder das, was wir Zeit nennen) wie in einem Spiegel reflektiert wird. Sie war niemals mein und wird es auch nie; so soll es sein. Wir Menschen sind zwar Schöpfer und Geschöpfe, aber in den Händen Gottes nur Marionetten. Es gibt eine Grenze, die wir nach göttlichem Ratschluss nicht überschreiten dürfen. Wir dürfen ganz nahe ran, bis das Wasser unsere Zehen berührt, aber eintauchen, geschweige denn uns von der Strömung mitreißen lassen, dürfen wir nicht.
    Ich bin dem Leben dankbar, dass ich Hilal in dem Augenblick wiederbegegnen durfte, in dem ich sie brauchte. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich ein fünftes Mal durch diese Tür gehen muss - selbst wenn ich die Antwort wieder nicht finde. Ich bin dem Leben dankbar, weil es mir die Angst genommen hat. Und schließlich danke ich dem Leben dafür, dass ich diese Reise machen darf.
    Es amüsiert mich, zu sehen, dass Hilal an diesem Abend eifersüchtig ist. Obwohl sie bereits eine ausgezeichnete Geigerin ist und eine hervorragende Kriegerin in der Kunst, ihren Willen durchzusetzen, ist sie gleichzeitig auch immer noch ein Kind und wird es bleiben, so wie ich und alle anderen, die das Leben ganz auskosten wollen.
    Ich werde ihre Eifersucht schüren, denn nur so wird sie lernen, mit der Eifersucht anderer umzugehen. Ich werde ihre bedingungslose Liebe annehmen, damit sie weiß, was sie erwartet, sollte sie einmal von jemandem so geliebt werden.
     
    ***
     
    »Es wird auch das Chicago Sibiriens genannt.«
    Chicago Sibiriens. Obwohl Vergleiche selten wirklich zutreffend sind, scheint dieser zu stimmen: Vor dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn hatte Nowosibirsk weniger als 8000 Einwohner. Inzwischen ist ihre Zahl auf über 1,4 Millionen angestiegen - dank einer Brücke über den Fluss Ob, über die die Bahn nun ungehindert ihren stählernen stampfenden Marsch von Moskau bis an den Pazifischen Ozean fortsetzen kann.
    Es heißt, in Nowosibirsk leben die schönsten Frauen Russlands. Nach dem, was ich gesehen habe, könnte das sogar stimmen, doch wäre es mir nie in den

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