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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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aussprechen? Warum hat sie diese Gefühle wieder wachgerufen, die so schwer zu vergessen waren, als ich beschloss, Gott zu dienen und der Welt zu entsagen? Warum hat sie mir nicht erlaubt, sie zu retten, als ich es noch konnte? Würde ich jetzt etwas zu ihren Gunsten aussagen, würde sich am nächsten Tag die ganze Stadt das Maul darüber zerreißen, dass ich sie nur verschont hätte, weil sie mir ihre Liebe gestanden hat. Mein Ruf und meine Karriere wären ruiniert.
    »Wenn sich nur eine Stimme zu ihrer Verteidigung erhebt, bin ich bereit, im Namen der Mutter Kirche Milde walten zu lassen.«
    Ich bin nicht der Einzige im Saal, der ihrer Familie in irgendeiner Weise verbunden ist. Einige sind ihnen einen Gefallen schuldig, andere Geld, wieder andere bewegt nur der Neid. Niemand wird den Mund aufmachen. Höchstens einer, der ihnen nichts schuldig ist.
    »Soll ich in diesem Fall das Verfahren für abgeschlossen erklären?«
    Fast scheint es, als wolle mich der Inquisitor, obwohl er gebildeter und gottesfürchtiger ist als ich, um Hilfe bitten. Aber immerhin hat das Mädchen vor allen im Saal gesagt, dass sie mich liebt!
    »Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gerettet«, sagte der Hauptmann zu Jesus. Ein einziges Wort von mir, und das Mädchen hätte nichts mehr zu befürchten.
    Kein Laut kommt über meine Lippen.
    Der Inquisitor lässt sich nichts anmerken, aber ich weiß auch so, dass er mich jetzt verachtet.
    »Die Kirche, die durch mich, ihren demütigen Ankläger, vertreten ist, erwartet die Bestätigung des Todesurteils.«
    Die Männer versammeln sich in einer Ecke des Raumes, ich höre den Dämon immer lauter in meinen Ohren brüllen. Immerhin habe ich an keinem der vier anderen Mädchen bleibende Spuren hinterlassen. Ich habe schon Brüder erlebt, die den Hebel bis zum Anschlag gebracht haben - die Verurteilten sterben, ihre Körper um mehr als dreißig Zentimeter gestreckt, mit zerfetzten Organen, und das Blut quillt ihnen aus dem Mund.
    Die Männer kommen mit einem von allen unterzeichneten Papier zurück. Das Urteil ist das Gleiche wie die letzten vier Male: Tod auf dem Scheiterhaufen.
    Der Inquisitor bedankt sich bei allen und geht wortlos an mir vorbei aus dem Saal. Die Männer, die verantwortlich für das weltliche Gesetz und die Rechtsprechung sind, folgen ihm, einige schon in den neuesten Klatsch vertieft, andere mit gesenktem Kopf. Ich gehe zum Kamin, nehme eine der rotglühenden Kohlen heraus und drücke sie mir unter meinem Habit auf die Haut. Es riecht nach verbranntem Fleisch, und mein Körper krümmt sich vor Schmerz, aber ich höre nicht auf.
    »Herr«, sage ich, als der Schmerz etwas nachlässt, »mögen diese Brandmale auf ewig meinen Körper zeichnen, damit ich niemals vergesse, wer ich an diesem Tage war.«
    Kraft neutralisieren, ohne sich zu bewegen
     
    Die Party ist ein voller Erfolg: Eine Frau in Landestracht, auffällig geschminkt und von beeindruckender Körperfülle, singt Volkslieder der Region, und alle amüsieren sich bestens. Ich fühle mich mit jedem zurückgelegten Zugkilometer euphorischer.
    Am Nachmittag hat es einen kurzen Moment gegeben, in dem ich in eine Depression abzurutschen drohte, aber ich habe mich schnell wieder gefangen. Warum soll ich mich schuldig fühlen, wo Hilal mir doch verziehen hat? In die Vergangenheit zurückzukehren und an alten Wunden zu rühren, ist nicht nur schmerzhaft, sondern zudem nicht einmal das Entscheidende. Für eine solche Rückkehr spricht nur, dass das dort erlangte Wissen mir helfen wird, die Gegenwart besser zu verstehen.
    Seit der Signierstunde am Nachmittag suche ich nach den richtigen Worten, um Hilal schonend die Wahrheit beizubringen. Das Schlimme an Worten ist, dass sie das trügerische Gefühl vermitteln, wir könnten uns einander verständlich machen, uns tatsächlich verstehen. Aber wenn es darauf ankommt, reichen sie meist nicht aus. Ich kenne so viele Menschen, die hervorragend reden und mit Worten umgehen können, aber nicht leben, was sie predigen! Schließlich ist von etwas reden auch nicht das Gleiche, wie es zu erleben.
    Ein »Krieger des Lichts« lässt sich auf der Suche nach seinem Traum durch seine Taten inspirieren und nicht durch das, was er sich vorstellt zu tun. Es hat keinen Sinn, wenn ich versuche, Hilal zu erzählen, was wir gemeinsam durchgemacht haben, denn Worte können das nicht wiedergeben.
    Jenen Keller, die Folter und den Tod auf dem Scheiterhaufen jedoch selbst zu erleben wird ihr auch nicht

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