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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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zurück.
    Ich bete ohne Unterlass, erflehe Gottes Barmherzigkeit. Wenn die Schmerzgrenze des Körpers überschritten ist, wird der Geist stark. Alle menschlichen Begierden werden bedeutungslos und er selbst geläutert. Das Leid kommt vom Begehren und nicht von den Schmerzen.
    Meine Stimme ist ruhig und tröstend.
    »Deine Freundinnen haben dir bestimmt schon erzählt, was das ist, nicht wahr? Wenn ich diesen Hebel drücke, werden deine Arme zurückgezogen, die Schultern kugeln aus, die Wirbelsäule bricht, die Haut zerreißt. Zwinge mich nicht, zum Äußersten zu gehen. Gestehe einfach, so wie deine Freundinnen es getan haben. Mein Superior wird dir die Absolution für deine Sünden erteilen, du wirst, nur mit einer Buße belegt, nach Hause zurückkehren, und alles ist wieder gut. Die Inquisition wird nicht so bald in diese Stadt zurückkehren.«
    Ich blicke zur Seite, versichere mich, dass der Schreiber meine Worte aufzeichnet. Damit alles für die Zukunft festgehalten wird.
    »Ich gestehe«, sagt sie. »Sag du mir, was meine Sünden sind, und ich gestehe.«
    Ich bewege den Hebel ganz vorsichtig, aber genug, um ihr einen Schmerzensschrei zu entlocken. >Bitte lass mich nicht weitermachen müssen<, flehe ich innerlich. >Bitte hilf mir, und gestehe gleich.<
    »Ich kann dir deine Sünden nicht sagen, obwohl ich sie kenne - aussprechen musst du sie, du musst sie dem Gericht selber sagen.«
    Das Mädchen beginnt, uns alles das zu erzählen, was wir erwartet haben, so dass sich eine Folter erübrigt. Aber damit besiegelt sie gleichzeitig ihr Todesurteil. Um sie zum Schweigen zu bringen, drücke ich den Hebel. Sie windet sich vor Schmerz, fährt aber trotzdem fort. Sie spricht von Vorahnungen, davon, dass sie spüren kann, was in der Zukunft geschehen wird, und wie die Natur ihr und ihren Freundinnen viele Heilmittel enthüllt habe. Verzweifelt drücke ich den Hebel noch mehr, aber sie hört nicht auf, zwischen ihren Schmerzensschreien zu reden.
    »Moment!«, sagt der Inquisitor. »Hören wir uns an, was das Mädchen zu sagen hat. Lass etwas nach.«
    Und, an die anderen gewandt:
    »Ihr alle seid Zeugen. Die Kirche beantragt für dieses bedauernswerte Opfer des Dämons den Tod auf dem Scheiterhaufen.«
    Nein! Ich will ihr sagen, dass sie schweigen soll, aber alle Blicke im Raum sind auf mich gerichtet.
    »Das Gericht ist einverstanden«, sagt einer der anwesenden Richter.
    Damit ist ihr Schicksal besiegelt. Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hat, verändert sich ihr Blick, bekommt eine Entschlossenheit, die nur vom Teufel eingegeben sein kann.
    »Ich gestehe, dass ich alle Sünden der Welt begangen habe. Dass ich Träume hatte, in denen Männer an mein Bett getreten sind und mich innig geküsst haben. Einer dieser Männer warst du, und ich gestehe, dass ich davon geträumt habe, dich zu verrühren. Ich gestehe, dass ich mich mit meinen Freundinnen getroffen habe, um die Geister der Toten anzurufen, denn ich wollte wissen, ob ich eines Tages den Mann heiraten würde, den ich schon immer an meiner Seite haben wollte.«
    Sie macht eine Kopfbewegung zu mir hin.
    »Dieser Mann warst du. Ich konnte es nicht erwarten, erwachsen zu werden, um dann zu versuchen, dich vom Klosterleben abzubringen. Ich gestehe, dass ich Briefe und Tagebücher geschrieben habe, die ich verbrannte, weil in ihnen ausschließlich von dir die Rede war, dem einzigen Menschen, der außer meinen Eltern echte Gefühle für mich zeigte und den ich deswegen liebte…«
    Ich drücke den Hebel noch etwas stärker. Sie stößt einen Schrei aus und wird bewusstlos. Der weiße Leib ist schweißüberströmt. Die Wachen wollen dem Mädchen kaltes Wasser ins Gesicht gießen, damit sie wieder zu sich kommt und wir weitere Geständnisse bekommen, aber der Inquisitor hält sie zurück.
    »Es reicht. Ich denke, das Gericht hat genug gehört. Bedeckt sie mit ihrem Unterkleid, und bringt sie zurück in die Zelle.«
    Die Wachen heben das blaue Unterkleid vom Boden auf und tragen das Mädchen weg. Der Inquisitor wendet sich an die Männer am Tisch neben ihm.
    »Nun brauche ich Ihre schriftliche Urteilsbestätigung, meine Herren. Oder will einer der Anwesenden etwas zugunsten der Beklagten vorbringen? Wenn ja, würden wir die Anklage überdenken.«
    Wieder wenden sich alle Blicke mir zu. Einige hoffen, dass ich schweigen, andere, dass ich für das Mädchen einstehe werde und sie rette, denn wie sie selbst gesagt hat, kenne ich sie schließlich.
    Warum musste sie all das

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