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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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Opium fürs Volk, und was hat er damit erreicht? Nichts.«
    »Marx hatte offensichtlich keine Ahnung von der wunderbaren Wirkung des Opiums«, sagt meine Lektorin.
    Alle lachen. Ich lasse mich nicht beirren.
    »Genau so war es mit der Kirche, der ich angehöre. Wir haben im Namen Gottes getötet, im Namen Jesu gefoltert, Frauen zur Bedrohung für die Gesellschaft erklärt und alle Formen weiblicher Begabung unterdrückt, wir haben Wueher betrieben, Unschuldige ermordet und uns mit dem Teufel verbündet. Dennoch sind wir auch nach zweitausend Jahren immer noch da.«
    »Ich mag überhaupt keine Kirchen«, sagt Hilal, die angebissen hat. »Der unangenehmste Moment dieser ganzen Reise war für mich der, als du mich in Nowosibirsk gezwungen hast, diese Kirche zu betreten.«
    »Stell dir vor, dass du an vergangene Leben glaubst und dass du in einer dieser Existenzen von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden wärest - im Namen des Glaubens, den der Vatikan den Menschen aufzuzwingen versucht hat. Würdest du die Kirche dann nicht hassen?«
    Ihre Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
    »Nein. Sie wäre mir weiterhin gleichgültig. Yao hat den Mann, der an unseren Tisch gekommen ist, auch nicht gehasst; er war nur bereit, für einen Grundsatz einzutreten.«
    »Aber nehmen wir einmal an, du wärst unschuldig gewesen…«
    Mein Verleger mischt sich ein. Möglicherweise hat er auch zu diesem Thema ein Buch veröffentlicht.
    »Das erinnert mich an Giordano Bruno. Er wurde von der Kirche als Gelehrter geachtet und dennoch in Rom bei lebendigem Leibe verbrannt. Während der Gerichtsverhandlung sagte er in etwa die folgenden Worte: >Ich fürchte mich nicht vor dem Scheiterhaufen. Aber ihr fürchtet euch vor eurem Urteil.< Heute steht eine Statue von ihm auf dem Platz, auf dem er von seinen sogenannten Glaubensbrüdern ermordet wurde. Er hat am Ende recht behalten, denn Menschen haben ihn gerichtet, nicht Jesus.«
    »Mir scheint, Sie versuchen etwas zu rechtfertigen, das ein Unrecht und ein Verbrechen gewesen ist«, sagt meine Lektorin.
    »Überhaupt nicht. Die Mörder kennt niemand mehr, aber Giordano Bruno beeinflusst noch heute mit seinen Ideen die Welt. Sein Mut wurde belohnt. Ein Leben, in dem man nicht für ein Ziel eintritt, ist ein vergeudetes Leben.«
    Fast könnte man denken, dass dieses Gespräch genau in die Richtung gelenkt würde, in die ich es haben will.
    »Wärest du Giordano Bruno«, jetzt schaue ich Hilal direkt an, »wärest du dann imstande, deinen Henkern zu vergeben?«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Ich gehöre einer Religion an, die in der Vergangenheit Entsetzliches getan hat. Aber trotz allem, und darauf will ich hinaus, empfinde ich für Jesus immer noch eine Liebe, die stärker ist als der Hass auf jene, die sich seine Nachfolger nannten. Und ich glaube immer noch an die Wandlung von Brot und Wasser.«
    »Das kannst du halten, wie du willst. Ich bleibe Kirchen, Priestern und Sakramenten lieber fern. Meine >Religion< ist die Musik und die Versenkung in den Anblick der Natur. Aber spielst du auf das an, was du gesehen hast, als…« Sie sucht nach Worten, »…hat es mit dem Ring aus Licht zu tun, von dem du mir erzählt hast?«
    Sie erwähnt nicht, dass wir dabei zusammen in einem Bett gelegen haben. Trotz ihres oft ungezügelten Temperaments und ihres Eigensinns will sie mich nicht bloßstellen.
    »Ich weiß nicht. Wie ich schon im Zug sagte: Alles, was sich in der Vergangenheit ereignet hat und in der Zukunft geschehen wird, steht in Verbindung zu dem, was in der Gegenwart geschieht. Möglicherweise sind wir uns begegnet, weil ich dein Henker war und du mein Opfer und weil jetzt der Augenblick gekommen ist, dich um Vergebung zu bitten.«
    Alle lachen und ich mit ihnen.
    »Dann sei ein bisschen netter zu mir, ein bisschen aufmerksamer. Wie wäre es zum Beispiel, wenn du mir hier, vor allen, die berühmten drei Worte sagen würdest, die ich so gern hören möchte.«
    Ich weiß, dass sie hören möchte: >Ich liebe dich.<
    »Ich werde dir drei Mal drei Worte sagen: 1.) Du bist beschützt. 2.) Sorge dich nicht. 3.) Ich verehre dich.«
    »Dem möchte ich etwas hinzufügen: >Ich vergebe dir< kann nur sagen, wer auch >Ich liebe dich< sagen kann.«
    Alle applaudieren. Wir kehren zum mongolisch-sibirischen Wodka zurück, sprechen über Liebe, Verfolgung, Verbrechen im Namen der Wahrheit, das Essen im Restaurant. Ich werde heute nicht weiterkommen. Hilal versteht nicht, worauf ich
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