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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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hinauswill - aber den ersten Schritt, den schwierigsten, habe ich getan.
     
    ***
     
    Beim Hinausgehen frage ich Yao, warum er sich so verhalten und damit alle in Gefahr gebracht hat. »Ist denn etwas passiert?«
    »Nein. Aber es hätte etwas passieren können. Leute wie dieser Mann am Nebentisch sind es nicht gewohnt, respektlos behandelt zu werden.«
    »Ich bin als junger Mann ständig irgendwo rausgeflogen und habe mir geschworen, dass es mir als Erwachsenem nicht wieder passieren würde. Ich habe den Mann nicht respektlos behandelt, sondern ihm nur gebührend Kontra gegeben. Augen lügen nicht, und er wusste, dass ich nicht bluffe.«
    »Dennoch haben Sie ihn herausgefordert. Wir befinden uns in einer Provinzstadt, und er hätte es so deuten können, als würden Sie seine Autorität in Frage stellen.«
    »Als wir aus Nowosibirsk weggefahren sind, haben Sie mir etwas über dieses Aleph erzählt. Vor ein paar Tagen kam mir plötzlich in den Sinn, dass die Chinesen auch ein Wort dafür haben: Qz. Wir beide befanden uns im selben Energiezentrum. Ohne darüber zu spekulieren, was hätte passieren können, weiß jeder, der sich mit Gefahr auskennt, dass er immer und überall auf einen Gegner treffen kann. Ich sage nicht Feind, ich sage Gegner. Wenn Gegner sich ihrer Macht sicher sind, wie es bei diesem Mann der Fall war, ist eine solche Konfrontation notwendig, weil wir ohne Übung beim nächsten Mal allzu leicht unterliegen könnten. Das Wissen darüber, wie wir unsere Gegner zu würdigen und zu ehren haben, ist das Gegenteil von dem, wie sich Schmeichler, Schwächlinge oder Verräter verhalten.«
    »Aber Sie wussten, dass er -«
    »Es ist gleichgültig, wer er ist, wichtig ist, wie er seine Kraft einsetzt. Mir gefiel seine Art zu kämpfen, und ihm hat meine gefallen. Das war alles.«

Die goldene Rose
     
    Vom mongolisch-sibirischen Wodka habe ich unerträgliche Kopfschmerzen, da helfen auch keine Tabletten und sonstigen Wundermittel. Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos, aber übers Wasser fegt ein eiskalter Wind. Die Kiesel am Strand sind immer noch von einer dünnen Eisschicht überzogen, obwohl der Frühling bereits fortgeschritten ist. Trotz der diversen Kleidungsstücke, die ich übereinandergezogen habe, ist die Kälte kaum auszuhalten.
    Aber mein einziger Gedanke ist: >Mein Gott, ich bin zu Hause!<
    Vor mir liegt ein See, dessen anderes Ufer ich kaum erkennen kann, vor schneebedeckten Bergen läuft auf dem kristallklaren Wasser ein Fischerboot aus, um später in der Dämmerung zurückzukehren. Ich möchte ganz und gar hier sein, ganz in der Gegenwart, denn ich weiß nicht, ob ich je an diesen Ort zurückkommen werde. Ich atme immer wieder tief ein, versuche, alles in mich aufzunehmen.
    »Das gehört zum Schönsten, was ich in meinem Leben je gesehen habe«, sage ich andächtig.
    Yao versteht meine Bemerkung als Ermunterung, mich mit Informationen über den See zu versorgen. Er erklärt mir, dass der Baikalsee in alten chinesischen Texten als >Meer des Nordens< bezeichnet wird, dass er zwanzig Prozent des Süßwassers der Erde enthält und fünfundzwanzig Millionen Jahre alt ist. Doch mich interessiert das alles nicht.
    »Stören Sie mich nicht. Ich möchte diese ganze Landschaft in meine Seele aufnehmen.«
    »Warum springen Sie nicht einfach rein und lassen Ihre Seele mit der des Sees verschmelzen?«
    Anders ausgedrückt: Riskieren Sie einen Kälteschock, und sterben Sie an Unterkühlung in Sibirien. Immerhin ist ihm meine Aufmerksamkeit jetzt sicher. Ich habe immer noch einen schweren Kopf nach dem Wodka vom Vorabend, und der Wind geht uns durch Mark und Bein, darum beschließen wir, unsere Unterkunft für die Nacht aufzusuchen.
    »Danke, dass Sie mitgekommen sind. Sie werden es nicht bereuen.«
    Wir gehen zum Gasthaus des kleinen Ortes, über Straßen aus gestampfter Erde und vorbei an Häusern, die denen in Irkutsk nicht unähnlich sind. Vor dem Gasthof befindet sich ein Brunnen, aus dem ein kleines Mädchen gerade versucht, Wasser zu schöpfen. Hilal will ihr helfen, doch anstatt am Seil zu ziehen, hebt sie das Kind gefährlich nah an den Brunnenrand.
    »Das I-Ging sagt: >Du kannst eine Stadt versetzen, aber keinen Brunnen.< Ich sage, du kannst den Eimer woanders hinstellen, aber nicht das Kind. Pass auf!«
    Die Mutter des Kindes kommt herbeigeeilt und macht Hilal Vorwürfe. Ich lasse die beiden allein und gehe in mein Zimmer. Yao war strikt dagegen, dass Hilal mitkommt, da Frauen dort, wo wir den
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