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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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Restaurant?«
    »Mehr oder weniger. Ich hatte ziemlich viel getrunken. Ich weiß noch, dass Yao sich nicht hat einschüchtern lassen, als dieser Engländer an unseren Tisch kam.«
    »Ich habe über die Vergangenheit gesprochen.«
    »Stimmt. Und ich habe genau verstanden, was du gesagt hast, denn in dem Augenblick, in dem wir im Aleph waren, habe ich deinen Blick gesehen, der zugleich Liebe und Gleichgültigkeit ausdrückte, dein Kopf war von einer Kapuze bedeckt. Ich fühlte mich verraten, gedemütigt. Aber Beziehungen aus vergangenen Leben interessieren mich nicht. Wir sind hier, in der Gegenwart.«
    »Siehst du den Bach vor uns? Im Wohnraum meines Apartments in Rio de Janeiro hängt ein Bild mit einer Rose, das einmal in einen Bach wie diesen gelegt wurde. Die Hälfte der Farbe wurde von der Witterung fortgetragen und später vom Wasser abgewaschen, so dass es an manchen Stellen aufgequollen und ganz verblasst ist. Dennoch sind immer noch Teile der schönen roten Rose auf goldenem Grund zu sehen. Ich kenne die Künstlerin. 2003 sind wir in einem Wald in den Pyrenäen gewandert, haben den Bach entdeckt, der damals kein Wasser führte, und das Bild unter den Steinen seines Bettes versteckt.
    Die Künstlerin ist meine Frau. In diesem Augenblick ist sie Tausende von Kilometern weit weg. Sie wird noch schlafen, denn in ihrer Stadt ist es noch lang bis zum Sonnenaufgang, obwohl wir hier schon vier Uhr nachmittags haben. Wir sind seit mehr als einem Vierteljahrhundert zusammen. Als ich sie kennenlernte, dachte ich mir: >Das wird nicht lange halten.< In den ersten zwei Jahren unserer Beziehung rechnete ich jeden Moment damit, dass einer von uns gehen würde. In den fünf darauffolgenden Jahren dachte ich, wir seien nur aus Bequemlichkeit noch immer zusammen, und sobald das einer von uns bemerkte, würde jeder wieder seines Weges gehen. Ich hatte mir eingeredet, dass jede ernstere Verbindung mich meiner Freiheit berauben und daran hindern würde, das zu erleben, was ich noch erleben wollte.«
    Ich merke, dass sich die junge Frau an meiner Seite unbehaglich zu fühlen beginnt.
    »Und was hat das mit dem Bach und der Rose zu tun?«
    »Es war im Sommer 2002, und ich war bereits ein bekannter Schriftsteller, dem es finanziell an nichts mangelte. Dennoch war ich überzeugt, dass sich meine Einstellung zu dem, was im Leben wichtig ist, nicht verändert hätte. Aber wie soll man sich da hundertprozentig sicher sein? Man muss es ausprobieren. Wir mieteten ein kleines Zimmer in einem einfachen Hotel in Frankreich, in dem wir fünf Monate verbringen wollten. Es gab nur einen schmalen Schrank, also mussten wir unsere Garderobe auf das Notwendigste reduzieren. Wir haben lange Wanderungen durch die Wälder und die Berge gemacht, in kleinen Gasthöfen zu Abend gegessen, stundenlang miteinander geredet, sind jeden Tag ins Kino gegangen. So zu leben hat uns bestätigt, dass die begehrenswertesten Dinge auf der Welt genau die sind, die jeder haben kann.
    Wir beide gehen vollkommen in unserer Arbeit auf. Während ich dazu nur meinen Laptop brauche, ist eine Malerin auf riesige Ateliers angewiesen, um ihre Arbeiten zu schaffen und aufzubewahren. Ich wollte um keinen Preis, dass sie ihre Berufung meinetwegen vernachlässigt, also habe ich ihr vorgeschlagen, etwas Entsprechendes für sie zu mieten. Aber als sie sich umschaute, die Berge, die Täler, die Flüsse, die Seen, die Wälder sah, dachte sie sich: Warum verwahre ich die Bilder nicht dort? Und warum lasse ich die Natur nicht mit mir zusammenarbeiten?<«
    Hilal starrt weiter in den Bach.
    So entstand die Idee, die Bilder unter freiem Himmel zu >lagern<. Ich nahm meinen Laptop mit und schrieb. Sie kniete im Gras und malte. Im Jahr darauf, als wir zu diesen Bildern zurückkehrten, war das Ergebnis originell und großartig. Das erste Bild, das sie hervorholte, war die Rose. Selbst heute, da wir ein Haus in den Pyrenäen haben, vergräbt sie ihre Bilder, wo immer sie sich auf der Welt befindet, und gräbt sie später wieder aus. Aus einer Notwendigkeit ist ihre besondere Technik geworden. Wenn ich jetzt auf diesen Bach schaue, erinnere ich mich an die Rose und spüre eine fast greifbare Liebe, so real, als wäre meine Frau hier.«
    Der Wind hat nachgelassen, und jetzt wärmt auch die Sonne ein wenig. Das Licht ringsum könnte nicht vollkommener sein.
    »Ich verstehe und respektiere das«, entgegnet Hilal. »Aber du hast im Restaurant, als du über die Vergangenheit gesprochen hast, etwas
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