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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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Schamanen treffen wollen, keinen Zutritt haben. Ich erinnere ihn daran, dass mein Interesse an diesem Besuch nicht übermäßig ist: Mir sind die Lehren der Schamanen bekannt, die überall auf der Welt verbreitet sind, und ich habe mich auch in meinem Heimatland schon mit mehreren von ihnen getroffen. Ich habe nur eingewilligt hierherzukommen, weil Yao mir auf dieser Reise bisher eine große Hilfe war und mich viele Dinge gelehrt hat.
    »Ich muss so viel Zeit mit Hilal verbringen wie irgend möglich«, hatte ich noch in Irkutsk zu ihm gesagt. »Ich weiß, was ich tue. Ich bin auf dem Weg zurück in mein Reich. Wenn sie mir jetzt nicht hilft, werde ich in diesem >Leben< nur noch drei Gelegenheiten haben.«
    Er wusste nicht genau, wovon ich sprach, gab aber nach.
    Ich lege den Rucksack in eine Ecke des Zimmers, stelle die Heizung auf die höchste Stufe, schließe die Vorhänge und werfe mich aufs Bett. Hoffentlich vergehen die Kopfschmerzen bald. Hilal kommt herein.
    »Du hast mich draußen mit dieser Frau stehenlassen. Du weißt, dass ich keine fremden Leute mag.«
    »Wir sind hier die Fremden.«
    »Ich hasse es, die ganze Zeit abgeschätzt zu werden und meine Angst, meine Gefühle, meine Verletzlichkeit verbergen zu müssen. Du siehst mich als talentierte, mutige junge Frau, die sich durch nichts einschüchtern lässt. Da irrst du dich! Alles schüchtert mich ein. Ich vermeide direkten Blickkontakt oder jemanden anzulächeln, alles, was andere ermutigen könnte, sich mir zu nähern. Wirklich geredet habe ich nur mit dir. Oder hast du das nicht bemerkt?«
    Der Baikalsee, schneebedeckte Berge, klares Wasser - einer der schönsten Orte der Welt -, und jetzt diese idiotische Diskussion.
    »Lass uns etwas ausruhen. Anschließend können wir einen Spaziergang machen. Heute Abend werde ich den Schamanen treffen.«
    Sie will gerade ihren Rucksack abstellen, aber ich halte sie zurück:
    »Du hast dein eigenes Zimmer.«
    »Aber im Zug…«
    Sie beendet den Satz nicht, sondern geht hinaus und knallt die Tür zu. Ich schaue an die Decke und frage mich, was ich tun soll. Ich darf mich nicht durch Schuldgefühle leiten lassen. Das darf ich nicht und will ich auch nicht - denn ich liebe eine andere Frau, die in diesem Augenblick weit weg ist und mir vertraut, obwohl sie ihren Ehemann nur zu gut kennt. Alle meine bisherigen Erklärungsversuche sind fehlgeschlagen, vielleicht ist hier der richtige Ort, das diesem besessenen, aber vielseitigen und starken und doch so zerbrechlichen Mädchen klarzumachen.
    Ich bin nicht schuld an dem, was geschieht. Auch Hilal nicht. Das Leben hat uns in diese Lage gebracht und hoffentlich zu unserem Besten. Hoffe ich es? Ich bin mir dessen sicher. Ich spreche ein Gebet und schlafe kurz darauf ein.
     
    Nach dem Aufwachen gehe ich zu ihrem Zimmer und höre sie Geige spielen. Ich warte, bis sie das Stück zu Ende gespielt hat, bevor ich anklopfe.
    »Lass uns einen Spaziergang machen.«
    Sie schaut mich überrascht und glücklich an.
    »Geht es dir besser? Hältst du den Wind und die Kälte aus?«
    »Ja, es geht mir besser. Komm, wir gehen.«
    Wir laufen durch das Dorf, das aussieht, als wäre es die Kulisse eines Märchens. Eines Tages werden Touristen hierherkommen und mit ihnen riesige Hotels, Läden, die T-Shirts, Feuerzeuge, Postkarten und Modelle der Holzhäuser verkaufen. Dann werden weitläufige Parkplätze für zweistöckige Reisebusse gebaut, deren Passagiere bewaffnet mit Digitalkameras sind und entschlossen, den ganzen See auf einen Chip zu bannen. Der Brunnen, den wir gesehen haben, wird zerstört und durch einen anderen dekorativeren ersetzt werden, der die Einwohner aber nicht mehr mit Wasser versorgen wird - all das auf Anordnung der Stadtverwaltung, damit keine Touristenkinder hineinfallen. Das Fischerboot, das ich heute Morgen gesehen habe, wird es nicht mehr geben. Das Wasser des Sees wird von modernen Jachten durchpflügt werden, die Eintages-Kreuzfahrten zur Mitte des Sees anbieten - Mittagessen inklusive. Berufsfischer und -jäger werden in die Region kommen, mit Lizenzen versehen, für die sie pro Tag so viel zahlen, wie die Jäger und Fischer der Region in einem Jahr verdienen.
    Aber noch ist es einfach nur ein entlegenes Dorf in der sibirischen Steppe, in dem ein Mann mit einer Frau, die halb so alt ist wie er, an einem Bach entlangwandert, den das Tauwetter geschaffen hat. Sie setzen sich an seinen Rand.
    »Erinnerst du dich an unser Gespräch gestern Abend im
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