Alera 01 - Geliebter Feind
werde ich versuchen, euch zwei Turteltäubchen nicht zu stören.«
»Nur zu, amüsier dich ruhig weiter auf meine Kosten«, klagte ich und hielt den Blick fest auf Steldor gerichtet, der inwischen den Dolch in die Scheide zurückgesteckt hatte, die sich in einem seiner kniehohen schwarzen Stiefel befand. Er kam mir entgegen.
»Ganz im Vertrauen«, flüsterte London mir zu, »ich bleibe nur zurück, damit ich ihn nicht an deiner statt umbringe.«
Der plötzliche Stimmungsumschwung meines Leibwächters verwunderte mich, aber ich hatte keine Gelegenheit mehr, darauf einzugehen, da mein attraktiver Tischherr nahte. Steldor war zwar legerer gekleidet als üblich, in ein weißes Hemd mit dunkelgrauer Weste, die an den Schultern rot abgesetzt war, doch bei seiner Statur wirkte jegliche Kleidung elegant. Er war groß, breitschultrig und muskulös. Sein dunkelbraunes, fast schwarzes Haar fiel exakt bis zu seinen ausgeprägten Wangenknochen. Die von pechschwarzen Wimpern gesäumten Augen strahlten in einem dunklen Braun und ließen die meisten jungen Mädchen schwindelig werden. Sein unwiderstehliches Lächeln brachte gerade, blendend weiße Zähne zum Vorschein. Ich erschauderte, als mir klar wurde, dass wir heute nicht nur hinsichtlich unseres Typs, sondern auch was unser Gewand anging, das perfekte Paar abgaben.
»Meine Dame«, grüßte Steldor mich mit Verbeugung und Handkuss. Nachdem er mich wohlwollend gemustert hatte, fügte er hinzu: »Erlaubt mir, Euch ins Speisezimmer zu geleiten.«
Mit einem missbilligenden Blick auf meinen Leibwächter zog Steldor mich an seine Seite. Londons Haltung drückte unmissverständlich aus, wie ernst er seine Pflichten nahm. Während Steldor mich durch den Gang führte, weckten die aus der Küche dringenden verführerischen Düfte meinen Appetit. Zumindest würde ich an diesem Abend ein köstliches Mahl serviert bekommen, tröstete ich mich.
Das Speisezimmer im ersten Stock war für intimere Gesellschaften gedacht. Es gab zwei identischeMarmorkamine zu beiden Seiten und dazwischen einen rechteckigen Tisch, an dem etwa fünfundvierzig Gäste Platz fanden. Darüber hingen dreistöckige Kronleuchter mit Kerzen, zusätzlich säumten Öllaternen in regelmäßigen Abständen die Wände. Man hatte für uns einen kleinen runden Tisch mit weißer Leinendecke vor dem Erkerfenster mit Blick auf den Westhof des Palastes gedeckt. Zwei flackernde Kerzen sorgten für eine dezente Beleuchtung, denn die Strahlen der soeben untergehenden Sonne drangen nur noch schwach durch die Fensterscheiben. Ich setzte mich Steldor gegenüber, der mir sogleich ein Glas Wein anbot, das ich mit leichtem Zittern entgegennahm. Dabei verlangte mich nach Wein ungefähr ebenso wie nach dem Mann, der mir den Kelch reichte.
»Ich muss sagen«, stellte Steldor fest, »Ihr seid heute Abend außergewöhnlich schön, Alera.«
Dann schwieg er, wie um mir Gelegenheit zu einem ähnlichen Kompliment zu geben. Da dieses jedoch ausblieb, setzte er ein freches Grinsen auf.
»Ich bin es ja gewohnt, dass sich die Damen hübsch kleiden, wenn sie mich begleiten, doch nur wenige gehen so weit, ihre Kleidung sogar auf die meine abzustimmen.«
Ich erblasste bei dieser Unterstellung, doch er fuhr fort, bevor ich eine angemessen scharfe Entgegnung formulieren konnte.
»Ihr scheint ein wenig überwältigt … Das mag am Hunger liegen, wenngleich ich oft diese Wirkung auf Frauen habe. Das Essen wird Euch vielleicht stärken.« Er bedeutete einem Diener mit einem Wink, mit dem Servieren unseres Mahls zu beginnen. »Das lässt Euch dann vielleicht auch Eure Sprache wiederfinden.«
Ich starrte den Mann an, den mein Vater sich alsmeinen Bräutigam wünschte, und fühlte mich unfähig, mit seiner übertriebenen Vertraulichkeit umzugehen. Das Erscheinen der Diener mit Platten voller Gemüse, einer Auswahl an warmem Brot sowie eines gebratenen Huhns enthob mich der Pflicht, Steldor eine Antwort zu geben.
Steldor nickte knapp, um die Dienerschaft zu entlassen, dann zerteilte er den noch brutzelnden Kapaun und legte uns beiden davon vor. Ein paar Minuten lang aßen wir schweigend, wobei es mir schwerfiel, mit Genuss zuzugreifen, da seine Augen schamlos auf mich gerichtet blieben.
»Ich hoffe, wir werden noch sehr viel Zeit miteinander verbringen«, sagte er schließlich in bewährtem honigsüßem Ton. Seine Stimme war samtweich, doch es gelang ihm nicht ganz, den gelangweilten Unterton darin zu verbergen. »Obwohl ich Euch natürlich warnen
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