Alera 02 - Zeit der Rache
Stadtkommandant, Lord Marcail«, begann ich und vergeudete keine Zeit mit langem Herumreden, denn mir war durchaus bewusst, wie selten die Gelegenheit war, in so schweren Zeiten für das Königreich die volle Aufmerksamkeit des Gardehauptmannes zu genießen. »Er scheint ein strenger Mann zu sein.«
»Er ist ein guter Soldat. Habt Ihr eine Auseinandersetzung mit ihm?«
»Nein«, sagte ich rasch und korrigierte mich sogleich. »Oder doch. Nicht persönlich, aber … doch.«
Ich schaute auf meine Hände hinunter, verunsichert, wie ich fortfahren sollte. Wie Cannan bereits angedeutet hatte, war Marcail ein geschätzter Offizier. Es lag mir fern, den Hauptmann mit dem, was ich vorzubringen gedachte, zu kränken, doch ausschließen konnte ich es nicht. Dennoch hatte ich Grund zu der Hoffnung, dass er sich in Reveinas Situation würde versetzen können. Denn immerhin hatte Baelic mir anvertraut, dass ihr gemeinsamer Vater »von dieser Methode allzu freizügig Gebrauch gemacht hatte«.
Der Hauptmann drängte mich nicht, sondern wartete geduldig, bis ich meine Gedanken sortiert hatte, auch wenn es wahrscheinlich eine Menge Dinge gab, die er lieber erledigt hätte.
»Lord Marcail hat sich in diesem Frühsommer eine Frau genommen, meine Freundin Lady Reveina«, sagte ich endlich, da ich wusste, dass er ein Freund unumwundener Offenheit war. »Nun mache ich mir Sorgen darüber, wie er sie behandelt. Ich glaube, er geht zu hart mit ihr um.«
»Verstehe. Und in welcher Weise?«
»Ich habe sie erst vor einer Stunde gesehen. Sie hatte blaue Flecken im Gesicht, und als ich mich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte, geriet sie ganz außer sich. Sie wollte nicht schlecht von ihrem Gemahl sprechen, doch sie hat mir gestanden, dass er ihr Angst macht und dass sie tagtäglich seine abendliche Heimkehr fürchtet. Er schlägt sie öfter als er sollte, das weiß ich. Nun möchte ich ihr helfen, doch ich weiß nicht, wie.« Ich schwieg kurz, dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. »Könntet Ihr –«
»Ich begreife zwar, in welcher Lage sie sich befindet«, sagte Cannan, beugte sich vor und legte einen Ellbogen auf den Tisch, wie um meine Bitte abzuwehren. »Doch ich kann mich nicht in die Familienangelegenheiten eines anderen Mannes einmischen.«
Seine Antwort traf mich wie ein Pfeil, und ich musste mit den Tränen kämpfen. Hastig suchte ich nach einer Möglichkeit, ihn von der Dringlichkeit der Situation zu überzeugen. Davon, dass es unumgänglich war, Reveina zu helfen.
»Sie ist jetzt schon nicht mehr sie selbst. Und er ist auf dem besten Wege, sie völlig zu zerstören. Ich allein vermag nichts zu tun, aber sie hat sonst niemand, an den sie sich wenden könnte. Ich bin mir sicher, dass Ihr in der Lage seid irgendetwas zu unternehmen.«
Cannan antwortete mit einem minimalen Kopfschütteln und wandte den Blick nicht von meinem Gesicht.
»Ich bedaure, aber die beiden sind verheiratet. Es ist seine Familie. Und es liegt bei ihm, wie er die Dinge in seinem Haus regelt. Es ist nicht an mir und nicht an Euch, sich da einzumischen.«
»Ich weiß ja, dass es seine Familie und sein Haus ist, aber es ist doch auch das ihre. Warum soll sie in Angst leben müssen? Sie wird seine Fäuste jeden Tag zu spüren bekommen und darunter leiden. Jeden Tag . Während wir hier sitzen und sagen, dass wir uns nicht einmischen können. Lord Marcail ist der Herr in seinem Haus. Es ist sein Recht, seine Frau zu bestrafen. Doch wenn sie sich perfekt und gehorsam verhält, und er sie dennoch schlägt, was dann? Ich bitte Euch ja nicht, ihn unter Arrest zu stellen oder von seinem Posten zu entlassen. Alles, worum ich Euch bitte, ist, zu überlegen, ob ihr nicht über Mittel verfügt, ihr das Leben zu erleichtern. Bitte. Ich flehe Euch an.«
Ich wartete nach dieser ergreifenden Rede schweigend auf eine Reaktion von ihm, und obwohl ich eine Spur von Mitgefühl in seinem Gesicht zu entdecken meinte, war es unmöglich zu sagen, ob er dies für mich oder für Reveina aufbrachte.
»Alera«, sagte er schließlich, und der sanfte Ton seiner Stimme sprach Bände. »Ich heiße die Behandlung, die Ihr beschrieben habt, nicht gut, aber Ihr überschätzt meinen Einfluss in dieser Angelegenheit. Ich kann wirklich nichts tun.«
Ich wollte argumentieren. Wollte ihm sagen, dass er als Hauptmann der Garde doch Marcails Vorgesetzter sei und daher in dieser Situation nicht hilflos. Doch seine Haltung vermittelte mir, dass er die Unterredung für beendet hielt. Daher
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