Alera 02 - Zeit der Rache
glaubt Ihr – und Euer Bruder glaubt das auch –, dass, solltet Ihr eine Tochter gebären, die Macht von Euch beiden auf sie übergehen wird«, schloss ich und begann zu lächeln. Ich wartete gar keine Antwort mehr ab, sondern lief sogleich in den hinteren Teil des Unterschlupfs, um mir einen Pergamentbogen und eine Schreibfeder zu holen.
»Alera, was geht hier vor?«
Diesmal war es mein Vater, der mir diese Frage stellte und gänzlich unerfreut über mein so wenig damenhaftes Benehmen schien.
»Wir müssen dem Overlord eine weitere Nachricht zukommen lassen«, verkündete ich, drehte mich um und sah den anwesenden Männern nacheinander in die Augen. Galen saß immer noch und schärfte ein Schwert. Cannan war an der Seite seines Sohnes, der sich wieder mühsam auf einen Ellbogen stützte und mich entgeistert anstarrte. Halias wachte neben der Hohepriesterin, und mein Vater reichte meiner frierenden Mutter und meiner Schwester gerade weitere Decken. Rasch erklärte ich ihnen meine Idee genauer und kam dann zum entscheidenden Schluss.
»Wir werden ihm mitteilen, seine Schwester sei schwanger. Und dass wir mit ihr verschwinden werden, sofern er das hytanische Volk und London nicht unverzüglich aus seiner Gewalt entlässt.«
»Und das soll er uns glauben?«, fragte Halias.
»Er muss es gar nicht glauben«, sagte ich mit der Feder in der Hand, weil ich entschieden hatte, die Nachricht selbst zu verfassen. »Er muss es nur fürchten.«
Als es darum ging zu entscheiden, wer dem Overlord die Nachricht überbringen sollte, überraschte Temerson uns alle durch sein freiwilliges Angebot.
»Ich möchte helfen«, sagte er nur.
Ich zögerte und bemerkte bei den anderen ähnliche Reaktionen. Temerson war noch kein erwachsener Mann, seine Verfassung noch instabil, und wir zweifelten wohl allesamt daran, dass er in der Lage wäre, dem grausamen Herrscher gegenüberzutreten, der vor seinen Augen seinen Vater getötet hatte. Allerdings wollte auch niemand ihm genau das ins Gesicht sagen.
»Junge, das tust du doch«, versuchte Halias für uns alle zu sprechen.
»Nein«, erwiderte Temerson unerwartet scharf. »Ich habe zu viel gesehen, um noch ein Junge zu sein. Und nun möchte ich das Gesicht dieses Bastards sehen, wenn er liest, was Königin Alera ihm mitzuteilen hat.«
Das verblüffte uns so, dass wir erst einmal schwiegen. Vor nicht langer Zeit hätte uns die Vorstellung einer solchen Äußerung von Temerson zum Lachen gebracht. Schließlich ergriff der Hauptmann – wie immer der Besonnenste unter uns – das Wort.
»Galen wird ihn begleiten.« Für alle Fälle, fügte ich im Stillen für mich hinzu. Aber die Idee war in jedem Fall gut, denn der Haushofmeister hatte ja bereits ausgekundschaftet, wohin der Overlord London verschleppt hatte. »Er wird warten, während Temerson die Nachricht überbringt.«
Früh am nächsten Morgen brachen die beiden auf. Temerson hatte den von mir unterzeichneten Pergamentbogen in der Hand. Sie wollten rechtzeitig dort sein, bevor der Overlord eintraf, um London möglicherweise noch vor den Qualen dieses Tages retten zu können. Noch ehe die Männer wieder zurückkamen, wussten wir, dass unser Plan aufgegangen war, denn es schollen keine Schmerzensschreie mehr durchs Gebirge. Als Temerson und Galen eintrafen, bestätigten sie uns, dass die Botschaft den Overlord tatsächlich getroffen hatte – er war sofort in Richtung unserer Stadt aufgebrochen und hatte London mitgenommen. Nun blieb uns nichts anderes als zu warten.
Und es war ein langes Warten. Die Tage vergingen, unsere Zuversicht schwand, Wut flammte auf und die Ungewissheit machte uns zu schaffen. Halias war aufgebrochen, um die Stadt zu beobachten, falls der Overlord unserer Forderung nachkam, aber danach hörten wir nichts von ihm. Die Möglichkeit des Scheiterns stand uns allen vor Augen. Und wenn nicht bald etwas passierte, blieb uns ohnehin keine andere Wahl, als zu verschwinden, wie wir es angedroht hatten.
»Er sucht nach einem anderen Weg, meine Freilassung zu erzwingen«, sagte die Hohepriesterin, die als Einzige unter uns nicht beunruhigt wirkte. »Aber natürlich gibt es keine Alternative. Am Ende wird er genau das tun, was Ihr verlangt.«
»Warum beruhigst ausgerechnet du uns?«, giftete Galen, der neben Steldor stand und unablässig seinen Dolch in die Luft warf und wieder auffing. Er schien aufgebracht, was in letzter Zeit zu einer Art Dauerzustand bei ihm geworden war.
»Im Krieg bin ich erbarmungslos«,
Weitere Kostenlose Bücher