Alera 02 - Zeit der Rache
wolle. Ich wusste, dass Lanek auch den König über meinen Zustand informieren würde. So war zugleich sichergestellt, dass er nicht versuchen würde, mich zu treffen. Auch wenn ich angesichts seiner gegenwärtigen Stimmung bezweifelte, dass eine solche Maßnahme nötig war. Nachdem ich mir also für den Rest des Tages freigenommen hatte, schickte ich einen weiteren Diener zu den königlichen Stallungen. Er sollte den Befehl überbringen, das Lieblingsreitpferd meines Vaters, ein ruhiges und gut ausgebildetes Kavalleriepferd, gesattelt und aufgezäumt ans Tor des großen Innenhofs zu führen. Da der Befehl an den Stall von mir kam, würde niemand argwöhnen, dass nicht mein Vater auszureiten gedachte. Gleichzeitig hoffte ich, schon weit genug von der Stadt entfernt zu sein, bevor jemand meinen ungewöhnlichen Zeitvertreib melden könnte.
Zur Vorbereitung auf meinen Ausflug schlüpfte ich in einen Rock und eine weiße Bluse und band mir das Haar zu einem tiefen Pferdeschwanz, wie Halias, Mirannas schneidiger Leibwächter, ihn zu tragen pflegte. Ich hatte vor, mich so gut es ging als Mann zu verkleiden, um möglichst wenig Verdacht zu erregen, wenn ich hoch zu Ross unterwegs wäre. Allerdings stand ich vor einem Problem, denn natürlich trug kein Mann einen Rock, daher brauchte ich ein Paar Hosen. Leider besaß ich die nicht mehr, die ich benutzt hatte, als Narian mich heimlich das Reiten gelehrt hatte. Für eine hytanische Frau galt eine solche Tätigkeit nämlich als völlig unangemessen. Ich hatte die Hose zur Wäsche der Dienerschaft gegeben, damit man sie nicht fand, als meine Kleider in die neuen Gemächer gebracht wurden. Ihre Entdeckung hätte für jede Menge Klatsch im Palast gesorgt und zahllose Fragen aufgeworfen. Ich runzelte die Stirn, während ich auf eine Lösung sann, denn mir blieb nicht viel Zeit. Mein Verhältnis zu Steldor konnte wahrscheinlich ohnehin nicht schlechter werden, also beschloss ich, mir mit einer seiner Hosen zu behelfen. Ich holte tief Luft, trat an die Tür seines Schlafgemachs und stieß sie auf. Zum ersten Mal warf ich einen Blick in sein privates Refugium.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, doch was ich sah, war eine faszinierende Mischung – einiges entsprach ganz dem Steldor, den ich kannte, anderes überraschte mich. Es gab die üblichen Möbel, die natürlich in maskulinem Stil gehalten waren: ein breites Bett mit Baldachin, gepolsterte Ledersessel am Kamin, eine mächtige Truhe, einen Schrank, zwei große Bücherregale, einen niedrigen Tisch mit Pokalen und Bechern, auf dem, wie ich vermutete, oft Wein- und Bierflaschen standen. Der vertraute Duft meines Ehemannes hing in der Luft, allerdings schwerer als erwartet, wenn man bedachte, dass er das Zimmer schon vor Stunden verlassen hatte. Ich blickte mich um und entdeckte auf dem Kaminsims eine Schale, aus der dieser Geruch aufzusteigen schien. Jetzt begriff ich, dass der Wolfskopf, den er stets als Talisman trug, die gleiche Duftmischung enthalten musste.
Besonders nahm mich die persönliche Note des Raumes gefangen. Im Gegensatz zu dem Eindruck, den ich von ihm hatte, waren die Möbel erstaunlich schlicht, ohne Schnitzereien, und die vorherrschende Farbe war ein dunkles Weinrot – nicht Burgunder, nicht richtig rot, sondern eine Spur wärmer und einladender als diese kräftigen Töne. Boden und Wände waren mit prächtigen Teppichen versehen. Zahlreiche Waffen unterschiedlichster Art und Größe hingen an der Wand über dem Kamin. Die ordentlich einsortierten Bücher deckten die erwarteten Themen ab: Waffenkunde, Falkenjagd, Militärgeschichte und -strategie. Nichts lag unaufgeräumt herum, dennoch wirkte das Zimmer ungezwungen und gemütlich.
Während ich mich umsah, versuchte ich meinen Eindruck mit dem mir bekannten strategisch denkenden Steldor in Einklang zu bringen, und plötzlich begriff ich. Der Raum war natürlich typisch männlich eingerichtet, aber zugleich auch sinnlich und elegant – eben perfekt, um eine Frau in seine Arme zu locken.
Ich durchquerte das Zimmer, trat an den Kleiderschrank und suchte darin, bis ich die Hosen meines Mannes fand. Dann nahm ich eine heraus und zog sie sogleich unter meinen Rock an. Ich nahm mir auch einen seiner Gürtel und hoffte, er würde verhindern, dass mir die Hose bis auf die Knöchel rutschte. Nachdem ich mich ein letztes Mal in dem aufgeräumten Schlafgemach umgesehen hatte, griff ich mir noch eine leere Flasche, füllte sie mit Wasser aus dem Krug und
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