Alera 02 - Zeit der Rache
Steldor ließ mich los und stand auf. Auf einen Schlag war er in Bereitschaft, Destari ebenso. Nur Cannan wirkte völlig ungerührt.
»Ihr könntet mich zumindest versuchen lassen, sie einzuholen!«, schrie Halias, was Destari veranlasste, sicherheitshalber einen Schritt näher an ihn heranzutreten. »Ich bin ihr Leibwächter – es war meine Pflicht, sie zu beschützen, und ich habe bereits versagt. Ich war immer bereit, mein Leben für sie zu geben, und heute Abend hätte ich sie beschützen oder bei dem Versuch, es zu tun, sterben sollen.« Seine Stimme wurde noch gequälter, als er ein letztes Ansinnen vorbrachte. »London ist in Cokyri. Lasst mich ihn finden, und gemeinsam könnte es uns gelingen, sie nach Hause zu bringen.«
»Nein«, sagte Cannan entschieden. »Wir werden ihr nicht blindlings ins Feindesland folgen.« Einen Moment lang musterte er seinen aufgebrachten Stellvertreter. »Begreift doch, dass wenn die Cokyrier beabsichtigt hätten, Miranna zu töten, sie das getan hätten, ohne sie aus dem Palast zu schaffen. Dann hätten sie auch nicht vor Monaten eine Cokyrierin als ihre Zofe eingeschleust. Sie haben etwas anderes vor, als ihr das Leben zu nehmen, und uns gibt das die Chance, bedachtsamer zu reagieren.«
»Vielleicht werdet Ihr sie nicht verfolgen«, sagte Halias durch seine zusammengebissenen Zähne. Er drehte sich um und stampfte wütend aus dem Büro, und seine drohende Befehlsverweigerung hallte wie ein Echo nach. Cannan sandte einen scharfen Blick zu Destari, der Halias sogleich folgte und anscheinend verstanden hatte, dass es nun an ihm war, Halias von irgendwelchen unüberlegten Aktionen abzuhalten.
Als die beiden Männer gegangen waren, blieben nur Cannan, Steldor und ich im Dienstzimmer des Hauptmannes zurück. Steldor stellte den Stuhl wieder auf, den Halias weggetreten hatte und schob ihn an seinen Platz vor dem Schreibtisch seines Vaters zurück.
»Was sollen wir hinsichtlich des Tunnels tun?«, fragte er.
»Der ist nutzlos«, stellte Cannan sachlich fest. »Wir werden ihn verschließen müssen. Irgendwie haben die Cokyrier von ihm erfahren. Ich habe Männer ausgeschickt, den anderen Tunnel zu kontrollieren, der aus unseren Stadtmauern hinausführt. Falls die Cokyrier auch den entdeckt haben, dann stehen wir vor einem ernsten Sicherheitsproblem. Gar nicht davon zu reden, dass wir dann keinerlei potenzielle Fluchtroute für den Bedarfsfall mehr haben.«
»Wie könnten sie davon erfahren haben?«, fragte Steldor stirnrunzelnd.
Kurz herrschte Schweigen, aber kein nachdenkliches.
»Narian muss es ihnen verraten haben«, sagte Cannan heftig. »Das ist die einzig logische Erklärung.«
»Nein!«, mischte ich mich ein und wollte verzweifelt seine Meinung ändern. »Narian würde uns niemals verraten. Nie würde er ihnen diese Information geben –«
»Besaß Narian diese Information denn?« Scharfsinnig stellte Steldor mir diese Frage, und hilflos spürte ich, wie mir erneut die Tränen kamen.
»Ich habe sie ihm gegeben«, murmelte ich und musterte die düsteren Züge der beiden fähigen Militärstrategen, die jetzt zu meiner Familie gehörten. Ich betete darum, dass sie mich nicht verdammen würden.
Keiner der beiden zeigte eine Reaktion auf meine Enthüllung. Im Raum herrschte Stille. Kein Scharren eines Schuhs, kein hörbares Atmen. Schließlich beendete Cannan das bedrückende Schweigen.
» Ihr habt sie ihm gegeben? «, wiederholte er, und dieses eine Mal traten Unglaube und Wut an die Stelle seiner Unerschütterlichkeit. »Ihr habt einem Cokyrier verraten, dass ein Tunnel in den hytanischen Palast führt, und es nicht für nötig erachtet, mich oder sonst jemand davon in Kenntnis zu setzen?«
Heiße Tränen quollen aus meinen Augen.
»Vater …«, sagte Steldor bittend, vielleicht weil er fürchtete, ich könne unter der Anschuldigung zusammenbrechen. Doch ich unterbrach ihn, um mich zu erklären und mein Handeln in gewisser Weise zu verteidigen.
»Er hat ihn selbst entdeckt.« Meine Stimme klang müde und elend, als ich versuchte, mich an die Details meiner Unterhaltung mit Narian vor so vielen Monaten im Marstall zu erinnern. »Er ist von allein auf den Tunnel gestoßen oder auf das, was er für einen Tunnel hielt, und hat mich gefragt, wo er hinführe. Da habe ich es ihm gesagt. Aber er würde diese Information niemals preisgeben. Nie würde er Hytanica in Gefahr bringen.«
Cannan sah ausnahmsweise aus, als wäre er zu einer harschen Erwiderung bereit, doch in
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