Alera 02 - Zeit der Rache
diesem Moment schwang die Tür auf, und er wurde unterbrochen. Als meine Eltern, gefolgt von Galen, eintraten, schloss er kurz die Augen und holte tief Luft, um sich bereit zu machen, die schreckliche Nachricht zu überbringen.
Mein Vater ging einen Schritt auf den Schreibtisch zu, wo Steldor beiseitetrat, um ihm Platz zu machen. Meine Mutter, die gleich gesehen hatte, dass ich weinte, kam direkt zu mir. Sie legte eine Hand auf meine Schulter und streichelte beruhigend mein Haar, auch wenn sie noch nicht wusste, was mir solchen Kummer verursachte.
»Was ist geschehen?«, fragte mein sichtlich beunruhigter Vater. »Das ganze Schloss ist ja in Aufruhr.«
»Ihr solltet Euch erst setzen«, empfahl Cannan, und mein Vater gehorchte. Langsam ließ er sich auf einen der Holzstühle vor Cannans Schreibtisch sinken. Galen schob einen davon näher zu mir, und meine Mutter nahm ebenfalls Platz, ließ aber eine Hand auf meinem Arm liegen. Dann zog der Haushofmeister sich in den hinteren Teil des Raumes zurück, und meine Eltern starrten Cannan mit der Vorahnung, sogleich etwas Schreckliches zu hören, an.
»Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen«, begann der Hauptmann überaus gefasst, obwohl ich bereits wieder schluchzte. »Cokyrier, wir wissen nicht wie viele, sind heute Abend in den Palast eingedrungen und haben Prinzessin Miranna entführt.«
Meine Mutter gab einen Schreckensschrei von sich, der mich zusammenzucken und meine Tränen noch heftiger fließen ließ. Danach schlang sie fassungslos die Arme um mich und drückte mich heftig an sich. Mein Vater schien auf seinem Stuhl zusammenzusinken, erbleichte und wirkte auf einen Schlag sichtlich gealtert. Seine Lippen formten ein »Nein«, doch es war kein Laut zu hören, denn die schreckliche Nachricht des Hauptmannes hatte ihm den Atem genommen.
»Die Stadt wurde so rasch wie möglich abgeriegelt«, informierte Steldor meine Eltern mit einem Seitenblick auf seinen Vater, bevor er fortfuhr. »Aber wir haben Grund zu der Annahme, dass man sie schon einige Stunden, bevor wir wussten, dass sie in Gefahr war, aus dem Palast verschleppt hat.«
»Nein!«, weinte meine Mutter laut. »Nicht meine Kleine!«
Ihr Kummer schnitt mir ins Herz, ließ mich meinen eigenen vergessen und meinen Tränenstrom versiegen. Jetzt war ich es, die versuchte, sie zu trösten. Bei meinem Vater dagegen konnte man die Gefühle an seiner Haltung ablesen – reglos, bleich und stumm saß er da.
»Wenn Euch das vielleicht ein gewisser Trost ist, ich gehe nicht davon aus, dass die Cokyrier sich die Mühe gemacht hätten, Miranna aus dem Palast zu schaffen, wenn sie beabsichtigt hätten, sie zu töten«, sagte Cannan und wiederholte damit, was er bereits zu Halias gesagt hatte. »Ich glaube sogar, dass sie im Moment außer Gefahr ist, obwohl wir natürlich alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen werden, sie nach Hause zu holen.«
»Warum Miranna?«, flüsterte mein Vater, der seine Stimme offenbar wiedergefunden hatte, mit weit aufgerissenen, geröteten Augen. »Sie war die leichteste Beute, das am schwächsten bewachte und naivste Mitglied der Königsfamilie«, erklärte Cannan. Seine folgenden Worte sollten einen gewissen Trost spenden. »Wenn es uns nicht gelingt, ihre Häscher zu fassen, dann werden die Cokyrier mit Sicherheit über ihre Herausgabe verhandeln wollen. Obwohl ich mir nicht vorzustellen vermag, was sie verlangen könnten.«
Ein Klopfen an der Tür kündete von Bhadrans Eintreffen, und Galen ließ ihn herein. Der grauhaarige Arzt, der meine Familie schon behandelte, solange ich denken konnte, ließ seinen Blick verwirrt durchs Zimmer schweifen und schien noch nicht zu begreifen, was vorgefallen war. Der Hauptmann setzte ihn rasch ins Bild und wies ihn an, meinen Eltern und mir etwas zu verabreichen, damit wir schlafen könnten. Bhadran, der von der Neuigkeit selbst erschüttert schien, gab jedem von uns ein Beruhigungsmittel. Cannan schlug vor, dass wir zu Bett gingen, da in dieser Nacht nichts weiter unternommen werden könnte. Daraufhin zog mein Vater meine weinende Mutter an sich und führte sie hinaus. Steldor half mir aufstehen, um dann festzustellen, dass meine Beine mich nicht trugen. Mühelos nahm er mich auf seine Arme und trug mich aus dem Zimmer und in Richtung Prunktreppe. Noch bevor er die erste Stufe genommen hatte, war ich meiner Erschöpfung erlegen.
10. DÜSTERE MORGENDÄMMERUNG
Als ich erwachte, fiel das stärker werdende Morgenlicht durch die nur zum Teil
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