Alera 02 - Zeit der Rache
nichts als Feigheit an den Tag legt?«
Die Spannung, die auf ihre geringschätzige Herausforderung folgte, war unerträglich, denn ich war die Einzige unter den versammelten Hytaniern, die sie nicht beleidigt hatte. Cannan und London schienen jedoch für ihre Kränkung unerreichbar, was mich mit Dankbarkeit erfüllte. Mit einem Blick war die Sache zwischen ihnen entschieden.
Cannan trat vor, da Destari mir verpflichtet war und London, wie die Hohepriesterin, Verhandlungsführer war. Die Schritte des Hauptmannes schienen sich zu verlangsamen und Geschichten über die Durchtriebenheit des Feindes wirbelten mir durch den Kopf und weckten den Verdacht, dass das hier nicht so laufen würde, wie es den Anschein hatte. Andererseits würde Cannan sich sicher nicht wehrlos in eine gefährliche Lage bringen – es sei denn, er wäre zu dem Schluss gekommen, dass es keine Alternative gab. Ich musterte der Reihe nach die Gesichter der Cokyrier und fragte mich, ob hinter ihren undurchdringlichen Mienen Verrat lauerte. Gleichzeitig versuchte ich, mir einzureden, dass dem nicht so war. Als die Reihe an Narian kam und ich an die Zärtlichkeit und das Mitgefühl dachte, die ich hinter seiner kalten und distanzierten Fassade entdeckt hatte, da wusste ich, dass dieser Feind alles verbergen könnte.
Etwa drei Meter vor uns blieb der Hauptmann stehen und wartete darauf, dass die feindliche Soldatin die Lücke schlösse. Als sie näher kam, streckte er die Hand aus, um die Rolle in Empfang zu nehmen.
»Cannan, zurück!«, schrie London da, und der Hauptmann machte sofort einen Satz nach hinten und sah ihn erschrocken an. Der Elitegardist tat einen Sprung nach vorn und stach gleichzeitig mit dem Dolch aus seinem Stiefel auf den Leutnant der Hohepriesterin ein. Der Dolch traf die Soldatin an der Kehle und Blut spritzte in hohem Bogen auf Cannans Wams und Gesicht. Sie keuchte, gab gurgelnde Laute von sich und griff sich in vergeblichem Ringen an den Hals, bevor sie gegen ihn fiel. Dabei glitt etwas zu seinen Füßen auf den Boden – ein Dolch. Für ein geplantes Attentat.
Cannan stieß die sterbende Soldatin von sich weg, als auch schon die Hölle losbrach. Die Cokyrier griffen an und zogen Waffen aus allen Falten ihrer Gewänder, während der Hauptmann Destari, der ohnedies schon an meiner Seite war, zubrüllte, mich fortzuschaffen. London und einige andere stellten sich dem Feind, obwohl ja auch die Hytanier eigentlich unbewaffnet hätten sein sollen. In dem Augenblick, bevor Destari mich unsanft packte und in Richtung der Pferde fortriss, sah ich Cannan noch einen Dolch aus einer Scheide ziehen, die an seinen Unterarm gebunden war. Ich konnte nur vermuten, dass die übrigen ebenso bewaffnet waren.
Destari warf mich regelrecht auf sein Pferd, sprang dann hinter mich und rief nach Wachen zum Schutz der Königin. Ich warf noch einen Blick zurück auf das Kampfgetümmel und sah, dass Cannan gemeinsam mit einigen anderen zu den Pferden hastete. Unsere Männer galoppierten auf die Brücke zu, während die Pfeile unserer Bogenschützen auf die Feinde niederprasselten. Panisch hielt ich nach London Ausschau, den ich nirgends entdecken konnte. Und aus Destaris Zögern schloss ich, dass es ihm ebenso erging.
»Destari!«, brüllte Cannan, um seinen Stellvertreter anzutreiben.
Gerade als mein Leibwächter sich zur Flucht entschloss, löste sich der Pulk der Cokyrier auf, und wir sahen mehrere feindliche Soldaten den sich wehrenden London niederhalten. Damit war klar, dass sie ihn zurück in das Reich des Overlords verschleppen würden. Einen Arm fest um meine Taille geschlungen, trieb Destari das Pferd mit einem kurzen Stoß seiner Fersen an, und wir galoppierten in die entgegengesetzte Richtung davon.
Mit zerzaustem Haar und derangierter Kleidung stolperte ich zum Entsetzen der in der Großen Halle postierten Wachen durch die Tore in den Palast. Dicht gefolgt von Destari. Reste unserer Truppe folgten heftig untereinander diskutierend, um sich darüber klar zu werden, was überhaupt passiert war und was als Nächstes zu tun sei.
Gerade als Steldor, Galen und einige Wachen der königlichen Garde von dem Durcheinander alarmiert aus dem Vorzimmer gestürmt kamen, drängte Cannan sich an die Spitze der Heimkehrer, und seine mit Blut besudelte Kleidung zog alle Blicke der Zurückgebliebenen auf sich. Bevor Steldor das Wort ergreifen konnte, trat Destari vor und stellte mit gefährlich funkelndem Blick seiner schwarzen Augen den Hauptmann zur
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