Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
konzentrierten.
»Muß ich sprechen?« fragte ich. »Sie wissen, weshalb ich hier bin.« Ich suchte nach einem flüchtigen Lächeln, einem Nicken, einem körperlichen Zeichen, daß er mein Unbehagen verstand.
»Es tut mir leid, Mr. Benedict«, sagte er, »doch ich kann genausowenig vermeiden, Ihre Koelix zu durchdringen, wie Sie es vermeiden könnten, ein Orchester zu hören, das nebenan spielt. Doch es interessiert Sie vielleicht, daß es nicht ganz so leicht auszusortieren ist.« Seine Lippen bewegten sich nicht. Doch es lag Leben in den Augen. Interesse. Eine Spur Mitgefühl. »Versuchen Sie, das Durchdringen zu ignorieren, und sprechen Sie ganz normal.«
Mein Gott, wie der Schutt eines Lebens an die Oberfläche sprudelte: eine Feigheit, die ich vor langer Zeit auf einem Schulhof begangen hatte; die Unfähigkeit, zu einer Frau ehrlich zu sein, für die alle Leidenschaft verblichen war; eine unausgesprochene Befriedigung, die ich aus keinem merklichen Grund in einem Mißgeschick eines Freundes gefunden hatte. Kleine, verachtenswerte Begebenheiten. Das Gepäck, das man sein Leben lang mit sich schleppt, die Taten, die einen ändern würden …
»Wenn es Ihnen hilft, kann ich Ihnen versichern, daß die Erfahrung für mich noch viel schwieriger ist.«
»Wieso?«
»Wollen Sie das wirklich wissen?«
Ich hatte den Eindruck, daß er eine bemerkenswert schlechte Einsicht in die menschliche Psychologie haben mußte, wenn er die Frage so stellte. Und ich war mir gar nicht sicher, ob ich die Antwort hören wollte. Dennoch sagte ich: »Natürlich.«
»Sie haben sich ohne telepathische Fähigkeiten entwickelt. Folglich haben Sie – Ihre Spezies – niemals die Veranlassung gesehen, Ihren Gedanken Selbstbeherrschung aufzuerlegen, und Sie halten auch die gewalttätigen Gefühle nur sehr unzulänglich unter Kontrolle. Die Intensität Ihres Zorns und Ihrer Ängste, die plötzlichen Gefühlsstürme, die ohne Warnung im menschlichen Verstand ausbrechen können, die Dominanz Ihrer Gelüste – all das erzeugt Unbehagen.« Er neigte leicht den Kopf, und der Anflug eines traurigen Lächelns umspielte seine Lippen. »Es tut mir leid, doch die Eigenarten Ihrer Umgebung stellen ein großes Handikap dar.«
»S’Kilian, wissen Sie, weshalb ich hier bin?«
Anscheinend beruhigt, daß er mich nicht hinaustragen mußte, glitt S’Kilian vom Schreibtisch und ließ sich auf einen Sessel fallen. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie es wissen, Mr. Benedict.«
»Christopher Sim«, sagte ich.
»Ja. Ein großer Mann. Ihr Volk tut recht daran, ihn in Ehren zu halten.«
»Unsere Unterlagen über den Krieg sind unvollständig und widersprüchlich. Ich würde gern einige Punkte klären, falls dies möglich sein sollte.«
»Ich bin kein Historiker.«
Unwillkürlich mußte ich an Quinda denken. Quindas Schultern, weich und nackt im Kerzenschein. Ich fuhr zusammen und versuchte, mich auf die Corsarius zu konzentrieren, auf das Buch der Tanner, das auf dem Tisch lag.
S’Kilian blieb still und aufmerksam.
Wie wäre Sex mit einer weiblichen Ashiyyur? Was geschieht bei der Vereinigung, wenn der Verstand völlig offen ist?
»Schon gut, Mr. Benedict«, sagte S’Kilian. »So etwas geschieht unwillkürlich. Es besteht kein Grund, peinlich berührt zu sein. Gedanken sind von ihrer Natur her unvoraussagbar und, selbst bei uns, pervers. Wir beide können alles mögliche in den Verstand des anderen bringen, in leuchtenden Farben und voller Leben, indem wir es einfach nur erwähnen.«
»Sie sind kein pensionierter Offizier, nicht wahr?« fragte ich, der Panik nahe.
Er legte den Kopf zurück. »Danke. Nein. Meine Aufgabe ist es, bei Kommunikationsschwierigkeiten zu helfen und als Kulturberater zu fungieren. Ich wurde ausgebildet, mit Menschen Gespräche zu führen. Aber meine Ausbildung war nicht sehr gründlich, fürchte ich.« Erneut lächelte er ermutigend. Ich fragte mich, ob es diese besondere Geste wohl bei allen intelligenten Spezies gab. Zumindest bei denen, die von ihrem Körper her imstande waren, sie hervorzubringen.
»Können wir über die ashiyyurische Sicht der Dinge einiger Aspekte des Widerstands sprechen?«
»Natürlich«, sagte er. »Obwohl ich bezweifle, daß ich genug weiß, um Ihnen zu helfen. Wir nennen ihn übrigens den Einfall.«
»Spielt das jetzt eine Rolle?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber die Wahrnehmungen sind wichtig. Einige behaupten sogar, daß sie die wahre Wirklichkeit sind.«
»Als Sie gerade Christopher Sim
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