Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
standhielten. Nicht nur die Klarheit und Kraft des Buches beeindruckten mich, sondern auch seine Leidenschaft. Es war nicht das, was man normalerweise von einem militärischen Führer erwartet. Doch andererseits hatte Sim seine Laufbahn als militärischer Führer noch nicht begonnen; er war Lehrer, als der Ärger anfing.
Das Buch trägt einen passenden Titel: Sim hat im Prinzip olympische Ansichten. Man kommt nicht um den Eindruck umhin, daß er für die Geschichte spricht; und wenn seine Sichtweisen nicht immer die seiner Kollegen sind oder die derer, die vor ihm kamen, dann gibt es keinen Zweifel, wer die Dinge falsch sieht. Er behält das letzte Wort.
Der Stil nimmt während seiner Schilderung des Untergangs Athens und des sinnlosen Verlusts an Menschenleben beim Versuch, das Parthenon zu verteidigen, düstere Züge an. Sein erinnerungswürdigster Abschnitt verurteilt die Spartaner, die Thermopylen zugelassen zu haben: Sie wußten seit Jahren, daß die Perser kommen würden, und hatten auf jeden Fall frühzeitige Geheimdienstinformationen über den Aufmarsch der Invasionsarmee; dennoch bereiteten sie kein Heer und keine Verteidigung vor, bis das Unheil über ihnen war. Dann schickten sie Leonidas und seine Männer und eine Handvoll Verbündete aus, mit ihrem Leben die Nachlässigkeit und Dummheit der Politiker auszugleichen.
Es war ein grimmiger Zufall: Diese Worte wurden geschrieben, bevor die Ashiyyur ihren Krieg begannen, und in weiterem Sinne kam es Sim zu, die Rolle des Leonidas zu spielen. Er führte den Versuch an, den Feind an den Grenzwelten aufzuhalten, während Tarien Alarm schlug und die gewaltige Aufgabe übernahm, eine Allianz zu schmieden, die gegen die Invasoren standhalten konnte.
Als ich am Morgen frühstückte, sagte Jacob mir, er habe noch etwas Seltsames gefunden. »Die Corsarius scheint ziemlich herumgekommen zu sein. Wenn wir den Berichten Glauben schenken können, hat sie zum Beispiel zwei Tage nach dem Überfall auf Hrinwhar einen ashiyyurischen Zerstörer in der Nähe von Onakai vertrieben. Onakai liegt achtzig Lichtjahre von den Kreiseln entfernt. Das wären allein vier Tage im Hyperraum. Am selben Tag, da Sim den Sieg bei Chapparal davontrug, hat sie ein großes Schiff bei Salinas angegriffen. Erneut ein unmöglicher Flug. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele.«
»Was hatten die Ashiyyur dazu zu sagen?«
»Sie sind nicht sehr mitteilungsfreudig, Alex. Soweit ich es feststellen kann, haben sie die Geschichten einfach abgestritten. Doch sie haben ihre Unterlagen niemals zur Verfügung gestellt.«
»Vielleicht«, sagte ich, »sollten wir versuchen, mit ihnen zu sprechen.«
»Wie willst du denn das anstellen? Es gibt keine diplomatischen Kontakte.«
»Einen doch«, sagte ich. »Den Maracaibo-Ausschuß.«
Vor sechsunddreißig Standardjahren hatte eine kleinere Gruppe älterer Militäroffiziere einen lange gepflegten Brauch gebrochen und eine bekannte ashiyyurische Militärstrategin eingeladen, an der Maracaibo-Kriegsakademie auf der Erde eine Rede zu halten. Die Rednerin, deren Namen anscheinend niemand auszusprechen imstande war, galt als erste ihrer Spezies, die seit mehr als einem Jahrhundert legal eine Welt der Konföderation betrat.
Die Einladung wurde zu einer Tradition, und aus den jährlichen Treffen bildete sich eine ungewöhnliche Interessengruppe. Sowohl menschliche als auch ashiyyurische Militäroffiziere, die sich der Aufgabe widmeten, einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Die Gruppe blieb natürlich klein. Sie wuchs nie zu einer populären Bewegung an. Ihre Mitglieder – zumindest die menschlichen – mußten für ihre Aktivitäten politische Strafen und Argwohn hinnehmen.
Als ich mich einzuklinken versuchte, geriet ich lediglich an eine KI, die mir erklärte, die Offiziere des Ausschusses nähmen keine nicht vereinbarten Anrufe entgegen. Was mein Begehr sei?
Ich erklärte, wer ich war, und fügte hinzu, ich betriebe historische Forschungen. Ich fragte mich, ob ich mit jemandem sprechen könne, der einige Kenntnisse über den Widerstand im allgemeinen und spezifisches Wissen über die Kriegsführung im besonderen habe.
Es folgte eine Verzögerung, während der die KI wohl Anweisungen anforderte. Dann: »Es entspricht nicht unserer Politik, private Besucher zu empfangen.«
»Ich wäre für eine Ausnahme dankbar.« Ich erklärte, es seien zahlreiche Fragen unbeantwortet geblieben, und eine Schilderung des Krieges aus Sicht der Ashiyyur könne zu einem
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