Alex Benedict 03: Die Suche
fernhalten würden. Dann setzte er sich zu mir. »Wie geht es Amy?«
Normalerweise sagt er, wenn ich ins Büro komme, guten Morgen, erklärt mir, was an diesem Tag zu beachten ist, und geht hinauf, um die Märkte zu beobachten. Aber heute schien er keine Worte zu finden. Er sagte mir, wie froh er sei, dass mir nichts wirklich Schlimmes zugestoßen sei, dass ich nicht ernsthaft verletzt sei und dass es eine schreckliche Erfahrung gewesen sein muss. Dann sprang er von seinem Stuhl auf und kam Minuten später mit Kaffee und Toast zurück.
Er gab noch ein paar Kommentare darüber ab, wie froh er sei, dass ich in Ordnung sei, und wollte wissen, ob es mir wirklich gut gehe und ob ich einen Arzt aufgesucht hätte. Und noch bevor ich ihm wirklich folgen konnte, war er schon wieder einen Schritt weiter. »Bevor wir die Margolianer aufgeben«, sagte er, »wäre es mir lieb, wenn du noch eine weitere Spur verfolgen würdest. Wenn du dich dazu in der Lage fühlst.« Er wartete, während ich seine Worte in Gedanken ein zweites Mal abspulte und schließlich erkannte, dass mir unter all den guten Wünschen ein Arbeitsauftrag erteilt worden war. »Die letzte«, versprach er. »Wenn dabei nichts rauskommt, schreiben wir die ganze Sache ab.«
»Was brauchst du?«, fragte ich.
»Mattie Clendennon. Sie hat gemeinsam mit Margaret die Navigatorausbildung absolviert, und sie sind Freundinnen geblieben.«
»Okay«, sagte ich. »Wie ist ihre Nummer? Ich werde zuerst mit ihr reden.«
»So einfach ist das nicht.«
Noch eine Raumreise, dachte ich.
»Nein.« Er sah schuldbewusst aus. Es braucht eine Menge, um Alex Benedict eine schuldbewusste Miene abzuringen. »Sie ist anscheinend ein bisschen verschroben.«
»Verschrobener als Hap?«
»Nein. Nicht so. Aber es sieht so aus, als würde sie gern allein leben. Sie scheint kein Interesse daran zu haben, sich mit anderen zu unterhalten.«
»Sie ist offline.«
»Ja. Du wirst zu ihr gehen müssen.« Er rief ein Bild auf. »Sie ist in den Achtzigern. Wohnt in Wetland.«
Es war schwer zu glauben, dass Mattie Clendennon noch so jung war. Ihr Haar war weiß geworden, sie wirkte unterernährt, und sie sah einfach ausgezehrt aus. Das Bild war allerdings schon zwei Jahre alt, also fragte ich mich, ob sie überhaupt noch lebte.
Alex versicherte mir, dass dem so war. Also nahm ich am nächsten Morgen den fehlbenannten Nachtflug und traf im Lauf des Nachmittags in Paragon ein. Von dort nahm ich den Zug nach Wilbur Junction, mietete mir einen Gleiter und brachte die letzten hundert Kilometer nach Wetland hinter mich. Dem feucht klingenden Namen zum Trotz lag Wetland mitten in der Wüste, der Great Northern Desert; Wetland war eine kleine Stadt, die im vergangenen Jahrhundert, als Wüstensportarten sich größter Beliebtheit erfreut hatten, viele Touristen angezogen hatte. Aber ihre Zeit war gekommen und wieder gegangen, die Touristen waren ausgeblieben, die Privatunternehmer hatten die Stadt verlassen, und nun waren nicht einmal mehr zweitausend Einwohner übrig geblieben.
Aus der Ferne sah die Stadt sehr groß aus. Die alten Hotels ballten sich am nördlichen Stadtrand um einen Wasserpark zusammen. Die Gravitationsanlagen in der Innenstadt, in denen Tänzer und Kunstläufer frei schwebend ihr Können gezeigt hatten, erinnerten an eine große, abgedeckte Schüssel, und die ägyptischen Nachbildungen, Pyramiden, Sphinx und Stallungen, lagen am westlichen Stadtrand schutzlos im Wüstenwind. Hierher hatte man in den guten Zeiten seine Freunde geführt, hatte ein Drome (das einzige Etwas auf Rimway, das Ähnlichkeit mit einem Kamel hatte) gemietet und sich aufgemacht, um die Pracht und Herrlichkeit der alten Welt zu erkunden. Den Tempel von Ophir in Richtung Sonnenaufgang, den Gartenpalast von Japhet dem Schrecklichen ein paar Kilometer weiter (wo man, so man wachsam blieb und des Reitens mächtig war, vielleicht mit all seinen Wertsachen und seinem Leben davonkommen konnte). Das war der Ort, den man aufsuchte, um den VRs zu entkommen, der Ort, an dem das Abenteuer real war. Mehr oder weniger.
Das alles war natürlich vor meiner Zeit gewesen. Ich hätte es genossen, in jenen Jahren ein bisschen Zeit an diesem Ort zu verbringen. Heutzutage hocken die Leute viel zu viel in ihrem eigenen Wohnzimmer. Kein Wunder, dass der Großteil der Bevölkerung übergewichtig ist.
Die Straßen waren still. Nur wenige Leute waren zu sehen. Von Kindern keine Spur.
Ich hatte eine Adresse. Nimrud Lane Nummer eins.
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