Alex Benedict 03: Die Suche
sie gekannt zu haben.«
»Das stimmt. Ich habe sie nicht gekannt. Aber ich stelle ein paar Nachforschungen über sie an.«
»Sind Sie Journalistin?«
»Ich bin im Antiquitätengeschäft.«
»Tatsächlich? Eine merkwürdige Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
»Bisher war es immer eine Herausforderung.«
Wieder trat eine lange Pause ein. Dann ertönte ein Klicken in einem der Türblätter, und es öffnete sich nach außen. »Danke«, sagte ich.
»Gehen Sie geradeaus bis ans Ende des Gangs. Dann gehen Sie nach links und durch den Vorhang.«
Ich ging über einen Steinboden in ein schattiges Zimmer. Die Wände waren mit Keilschrift überzogen, und auf steinernen Zylindern überall im Raum waren Könige abgebildet, die Geschenke entgegennahmen, Bogenschützen, die auf Türmen stationiert waren, welche genauso aussahen wie die an den Ecken dieses Palasts, Krieger, die mit Äxten aufeinander losgingen, herrliche Wesen, die Tafeln vom Himmel reichten. Waffengerüste mit Äxten, Speeren und Pfeilen zogen sich auf zwei Seiten des Raums an den Wänden entlang. Schilde lagen neben der Eingangstür.
Ich folgte ihren Anweisungen, ging durch eine weitere Tür in einen breiten Gang, nahm den Fahrstuhl in den vierten Stock und betrat linkerhand einen Warteraum. Bald hörte ich Schritte auf dem Steinboden klappern, und gleich darauf gesellte sich Mattie Clendennon zu mir. Die Bilder wurden ihr nicht gerecht. Ich hatte mit einer kraftlosen, halb umnachteten alten Frau gerechnet. Aber Mattie hielt sich kerzengerade. Sie strahlte Energie aus und bewegte sich so geschmeidig über den Steinboden wie eine Katze. Sie war groß, gebieterisch, hatte graugrüne Augen und zarte, aber markante Züge. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen.
»Willkommen, Chase Kolpath«, sagte sie. »Ich bekomme nur selten Besuch.«
Sie trug sandfarbene Kleidung und eine Fliegerhaube, die Art Kleidung, die man als angenehm empfinden würde, wenn man irgendwelche Ausgrabungen vornehmen wollte. Und irgendwie schaffte es diese achtzigjährige Frau, in diesem Aufzug überhaupt nicht absurd auszusehen.
»Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Ms Clendennon«, sagte ich.
Sie ließ ihren Blick über die Gravuren um uns herum schweifen. »Hier«, sagte sie, »haben sie das Gilgamesch-Epos gefunden.«
»Wirklich?« Ich gab mir Mühe, beeindruckt zu klingen, dachte jedoch, die Frau wäre nicht ganz bei Verstand.
Sie wusste meine Reaktion zu deuten. »Na, natürlich nicht das Original. Das hier ist ein Replikat des Palasts zu Khorsabad. Und dort hat George Smith die Tafeln gefunden.«
Sie führte mich einen langen Korridor entlang. Die Steinmauern wichen Satinvorhängen, dicken Teppichen und üppigem Mobiliar. Schließlich betraten wir einen Raum, der mit modernen Stühlen und einem Sofa möbliert war. Die zwei Fenster wurden von Vorhängen verdeckt, die das Sonnenlicht dämpften. »Setzen Sie sich, Kolpath«, sagte sie. »Erzählen Sie mir, was Sie zu Sargons Heimstatt führt.«
»Das ist ein prachtvoller Ort«, sagte ich. »Wie kommt es, dass Sie hier leben?«
Eine silberne Braue hob sich. »Ein gemischtes Kompliment? Haben Sie ein Problem damit?«
»Nein«, sagte ich. »Es erscheint mir nur ziemlich außergewöhnlich.«
»Wo wäre ich besser aufgehoben?« Sie studierte mich, überlegte, ob ich Freund oder was auch immer sein mochte, und schlug sich vorläufig auf meine Seite. »Möchten Sie etwas trinken?«
Sie mischte uns zwei Black Bennys, während ich einen der Vorhänge zur Seite zog und aus dem Fenster blickte. Wetland, das eigentlich am Horizont hätte erkennbar sein müssen, war nicht zu sehen. Stattdessen sah ich eine Stadt mit Minaretten und Türmen. »Bagdad«, sagte sie, »in seiner Blütezeit.«
Es war eine Projektion. »Das ist wunderschön«, sagte ich.
»Sie sollten es bei Nacht sehen, wenn die Lichter leuchten.« Sie reichte mir meinen Drink. »Ich habe irgendwann beschlossen, dass mir das Leben auf Rimway nicht sonderlich gefällt, also bin ich in eine schönere Zeit zurückgekehrt.«
Ich sah mich in dem Raum um, einem klimatisierten Raum mit synthetischen Wänden und einer VR-Anlage.
Sie lachte. »Das bedeutet schließlich nicht, dass ich dumm bin. Hier bekomme ich das Beste aus beiden Welten. Bagdad ist romantisch, aber es ist besser, ein bisschen Distanz dazu zu halten.«
Ich kostete meinen Black Benny und lobte den Geschmack.
»Mein Lieblingsgetränk.« Sie machte Anstalten, sich zu setzen, überlegte es sich dann
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