Alex Cross 07 - Stunde der Rache
einen Menschen zu fangen. Meine Jagd, nicht seine. Er war die Beute.
Das übliche Blitzlichtgewitter. Die zynischen Augen der Journalisten starrten zu mir herauf und warteten auf Antworten, die ich nicht geben konnte. Ich war furchtbar nervös.
Ich bemühte mich, so ernst und wichtig zu klingen, wie ich konnte. »Meine Name ist Alex Cross. Ich arbeite beim Morddezernat in Washington, D.C., und habe mit Spezialagent Kyle Craig in den letzten fünf Jahren eng zusammengearbeitet. Ich kenne ihn extrem gut.« Dann berichtete ich Details über unsere gemeinsame Vergangenheit. Ich bemühte mich, wie ein aufgeblasener Besserwisser zu klingen. Der akademische Polizist. »Kyle hat bei der Lösung etlicher Morde geholfen. Er war eine kompetente Nummer Zwei, eine große Hilfe für mich. Er war ein übereifriger Typ.
Bald werden wir ihn festnehmen, aber Kyle, falls du mich hörst, wo immer du bist, ich flehe dich an, genau zuzuhören. Stell dich. Ich kann dir helfen. Ich habe dir immer helfen können. Stell dich. Rufe mich an. Es ist deine einzige Chance.« Ich machte eine Pause und blickte in die Fernsehkameras, dann trat ich langsam von den Mikrofonen zurück. Wieder Blitzlichter überall. Sie behandelten mich als Star, genau wie ich gehofft hatte.
Direktor Burns sagte noch ein paar Worte bezüglich seiner Sorge um die öffentliche Sicherheit und das Ausmaß der FBIFahndung. Dann dankte er mir überschwänglich für mein Kommen.
Während ich neben Direktor Burns stand, blickte ich weiterhin in die Fernsehkameras. Ich wusste, dass Kyle mir direkt in die Augen schauen würde. Ich war sicher, dass er diese Sendung sah und vor Wut schäumte.
Ich schickte Kyle eine deutliche Botschaft und eine Herausforderung.
Komm und hol mich, wenn du kannst. Du bist nicht mehr Superhirn – das bin jetzt ich.
109
I ch wartete.
Am nächsten Morgen besuchte ich Nana und die Kinder. Meine Tante Tia hatte ein kleines Haus, das gelb gestrichen war. Es stand in einer stillen Straße in Chapel Gate, was sie »Provinz« nannte. Als ich vor dem Häuschen hielt, sah ich keine Spur von dem FBI. Das war ein gutes Zeichen, dachte ich. Gute Arbeit.
Die Leitung des Einsatzes hatte der Spezialagent Peter Schweitzer. Er hatte einen ausgezeichneten Ruf. Schweitzer begrüßte mich an der Haustür und stellte mich den sechs Agenten im Haus vor.
Als ich wegen der Sicherheit völlig beruhigt war, ging ich zu Nana und den Kindern. »Hallo, Daddy.« »Hallo, Dad.« »Hallo, Alex.« Alle schienen sehr froh zu sein, mich zu sehen, sogar Nana. Sie vertilgten gerade ein Riesenfrühstück in der Küche. Tia machte Pfannkuchen und Bratwürste. Sie breitete die Arme aus und zog mich liebevoll an die Brust. Dann hingen die Kinder wie die Kletten an mir. Ich gebe zu, ihre Liebe tat mir gut. Ich brauchte die Umarmungen.
»Sie können einfach nicht genug von dir kriegen, Alex«, sagte Tia und lachte.
»Weil wir nie genug von ihm sehen«, erklärte Damon und grinste.
»Der Fall ist fast abgeschlossen«, sagte ich und hoffte, dass das zutraf. Aber sicher war ich nicht.
Ich frühstückte und blieb noch fast eine Stunde bei Tia. Die ganze Zeit über redeten wir, aber nur einmal erwähnten wir die schwierige und beängstigende Situation. »Wann können wir wieder nach Hause?«, fragte Damon.
Alle schauten mich an und warteten auf eine Antwort. Sogar Klein-Alex fixierte mich. »Ich will euch nicht anlügen«, sagte ich, »wir müssen zuerst Kyle Craig finden. Dann können wir zurück nach Hause.«
»Und dann ist alles wieder wie früher?«, fragte Jannie.
Ich durchschaute die Trickfrage. »Sogar noch besser«, erklärte ich. »Ich werde schon bald einige Änderungen vornehmen. Das verspreche ich euch.«
110
I ch nahm den Flug um zehn Uhr vormittags nach Charlotte, um Craigs Familie zu besuchen. Vielleicht war Kyle dort. Überrascht hätte mich das nicht.
Sein Vater, William Craig, zog es vor, nicht zu Hause zu sein, als ich auf dem Besitz eintraf, wo Kyle und seine Brüder aufgewachsen waren. Es war die Farm eines echten Gentlemans, ein großes Herrenhaus und über vierzig Morgen Weideland für die Pferde. Einer seiner Arbeiter verriet mir, dass es über fünfzehn Dollar pro Meter kostete, um die weißen Zäune, die die Weiden umgaben, zu streichen.
Ich redete mit Miriam Craig auf der hinteren Veranda, von der aus man auf den Garten mit den Wildblumen und einen Bach schaute. Sie schien ihre Gefühle sehr unter Kontrolle zu haben, was mich überraschte, obwohl
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