Alex Cross 8 - Mauer des Schweigens
überführt.
Ich machte mir eine Notiz: Vielleicht mit ihm reden.
Plötzlich wurde ich bei meiner Lektüre durch Schritte unterbrochen, die zu mir heraufkamen.
Jemand kam die Treppe herauf.
Adrenalin schoss durch meinen Körper. Ich griff in die Schreibtischschublade und legte die Hand auf meine Pistole.
Plötzlich stürzte Damon ins Zimmer. Er war schweißgebadet und wirkte völlig verstört. Nana hatte mir gesagt, dass er in seinem Zimmer schliefe. Offensichtlich war dem nicht so. Er war wohl gar nicht im Haus gewesen.
»Damon?«, sagte ich und stand auf. »Wo bist du gewesen?«
»Komm mit, Dad. Bitte. Es geht um meinen Freund. Ramon ist krank! Dad, ich glaube, er stirbt.«
59
Wir rannten zu meinem Wagen, und unterwegs berichtete Damon mir, was mit seinem Freund Ramon los war. Beim Sprechen zitterten seine Hände.
»Er hat E genommen, Dad. Er nimmt schon seit ein paar Tagen E.«
Ich kannte E. Es war eine der Modedrogen in Washington, besonders unter Highschool-Schülern und Studenten an der George Washington und Georgetown University.
»Dann ist Ramon nicht in die Schule gegangen?«, fragte ich.
»Nein. Er ist auch nicht nach Hause gegangen, sondern war in einem verlassenen Wohnblock unten am Fluss.«
Ich kannte diese Gegend am Fluss und raste mit rotem Polizeilicht auf dem Wagendach und mit Sirene dorthin. Ich hatte Ramon Ramirez kennen gelernt und wusste auch über seine Eltern Bescheid. Beide waren Musiker und rauschgiftsüchtig.
Ramon spielte mit Damon Baseball. Er war zwölf. Ich fragte mich, wie weit Damon in die Sache verstrickt war, aber jetzt war keine Zeit für derartige Fragen.
Ich parkte, dann gingen Damon und ich in den heruntergekommenen Wohnblock beim Anacostia River. Er war drei Stockwerke hoch, die meisten Fenster waren vernagelt.
»Warst du hier schon mal?« fragte ich Damon.
»Ja, ich war hier. Ich wollte Ramon helfen. Ich konnte ihn doch nicht einfach im Stich lassen, oder?«
»War Roman bei Bewusstsein, als du ihn verlassen hast?«, fragte ich.
»Ja, aber er hatte die Zähne zusammengebissen, und dann hat er gekotzt. Seine Nase hat geblutet.«
»Okay, schauen wir mal, wie’s ihm geht. Bleib dicht bei mir.«
Wir rannten einen dunklen Korridor entlang, dann um eine Ecke. Ich roch den Gestank von Müll und einem Feuer, das vor kurzem noch gebrannt hatte.
Dann kam die Überraschung. Zwei Sanitäter und eine Not- ärztin waren bereits in dem kleinen Zimmer und arbeiteten an einem Jungen. Ich konnte Ramons schwarze Turnschuhe und hochgerollte Hosen sehen. Nichts bewegte sich.
Die Ärztin hatte über Ramon gekniet und stand jetzt auf. Sie war groß und kräftig und hatte ein hübsches Gesicht. Ich hatte sie noch nie gesehen. Ich ging zu ihr und zeigte ihr meine Polizeimarke, was sie aber nicht sehr zu beeindrucken schien.
»Ich bin Detective Cross«, sagte ich. »Wie geht’s dem Jungen?«
Die Frau musterte mich scharf. »Ich bin Kayla Coles. Wir bemühen uns um ihn. Genaues kann ich noch nicht sagen. Jemand hat neuneinseins angerufen. Hast du angerufen?« Sie schaute Damon an. Jetzt wurde mir klar, dass sie die Ärztin war, von der Nana gesprochen hatte.
Damon beantwortete ihre Frage. »Jawohl, Ma’am.«
»Hast du auch irgendwelche Drogen genommen?«, fragte sie.
Damon schaute mich an, dann Dr. Coles. »Ich nehme keine Drogen. Das ist blöd.«
»Aber deine Freunde schon, oder? Hast du blöde Freunde?«
»Ich wollte ihm doch bloß helfen.«
Dr. Cole schaute ihn ernst an, dann nickte sie. »Wahrscheinlich hast du deinem Freund das Leben gerettet.«
Ich wartete mit Damon in dem tristen stinkenden Zimmer, bis wir erfuhren, dass Ramon durchkommen würde. Diesmal. Dr.
Kayla Coles blieb die ganze Zeit über bei ihm. Wie ein Schutzengel schwebte sie über Ramon. Damon konnte noch kurz mit Ramon sprechen, ehe sie ihn in den Krankenwagen trugen. Ich sah, wie er seinem Freund die Hand drückte. Es war fast zwei Uhr morgens, als wir endlich den Wohnblock verließen.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich Damon.
Er nickte, aber dann fing er am ganzen Leib an zu zittern, lehnte sich an meinen Arm und schluchzte.
»Ist schon gut. Ist schon gut«, tröstete ich ihn.
Ich legte den Arm um seine Schultern, und wir fuhren nach Hause.
60
Thomas Starkey, Brownley Harris und Warren Griffin flogen getrennt nach New York City. Alle starteten vom Raleigh-Durham-Flughafen aus. So war es sicherer und klüger, und sie arbeiteten immer unter der Voraussetzung, dass sie schließlich die Besten
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