Alex Cross - Cold
zusammenhängen. Warum rufen Sie nicht einfach zurück? Dann erfahren wir beide, worum es geht.«
Er blitzte mich über den Rand seiner Lesebrille hinweg an, als ob er meiner Harmlosigkeit nicht so recht traute. Aber schließlich wählte er die Nummer, die auf dem Zettel stand.
Kaum hatte ich das Telefon in der Hand, meldete sich eine Frauenstimme.
»Detective Cross?«
»Am Apparat. Was kann ich für Sie tun, Ms. Friedman?«
»Ich befinde mich im Büro der First Lady, im Ostflügel«, sagte sie, ohne dass diese Erklärung notwendig gewesen wäre. In ihrer Stimme lag eine Art einstudierter Förmlichkeit. »Ob Sie sich wohl zu einem Treffen mit Mrs. Coyle bereitfinden könnten?«
Selbst die Frage war eine Förmlichkeit. Ob ich mich zu einem Treffen mit der First Lady der Vereinigten Staaten bereitfinden könnte?
»Selbstverständlich«, lautete meine Antwort. »Ich kann in einer Dreiviertelstunde da sein.«
»Sehr gut. Ich hinterlege Ihren Namen beim östlichen Besuchereingang«, sagte sie knapp. »Ich erwarte Sie dann am oberen Ende der Einfahrt, unter dem Vordach.«
Und außerhalb des Blickfelds der Medien, wenn ich sie richtig verstanden hatte. Dieses Treffen war nicht gerade geheim, aber trotzdem... Diskretion schien das Gebot der Stunde zu sein.
Als ich aufgelegt hatte, starrte Lindley mich immer noch an. Zwei seiner Telefone klingelten, aber er beachtete sie nicht, sondern wartete auf eine Erklärung.
»Nun?«, sagte er.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich brauche eine Vertretung am Notruftelefon.«
Wahrscheinlich hatte er das Gefühl, dass ich ihm ausweichen wollte, aber das war mir egal. Ich war verabredet.
49
Im Weißen Haus lief alles wie erwartet: gründliche Sicherheitsüberprüfung einschließlich Passkontrolle und Magnetresonanzschleuse, erhöhte Präsenz von Secret-Service-Agenten, Polizisten, wohin das Auge schaute. Und dann noch all die Dinge, die ich nicht sehen konnte. Ich fragte mich, wie viele Überwachungskameras oder gar Zielfernrohre auf mich gerichtet waren, während ich die geschwungene Auffahrt zum Haupteingang des Ostflügels hinaufging.
Nur schade, dass Sampson nicht dabei war, um das alles mit eigenen Augen zu sehen. Und Bree. Und eventuell noch Nana und die Kinder. Ein schnelles Foto vielleicht, mit uns allen?
Nina Friedman empfing mich, wie versprochen, an der Eingangstreppe. Auch bei der persönlichen Begegnung war sie genau so sachlich und nüchtern wie am Telefon. Sie jonglierte mit ihrem BlackBerry, um mir zur Begrüßung die Hand zu geben, während wir bereits auf dem Weg ins Innere waren.
»Danke, dass Sie gekommen sind. Würden Sie mir bitte folgen?«, sagte sie. Das war alles. Keine Anweisungen, keine Erklärung.
Als wir einen weiteren Kontrollposten und noch eine Sicherheitsschleuse im Foyer passiert hatten, rechnete ich fest damit, in ein Konferenzzimmer oder vielleicht auch in die Büroräume der First Lady im ersten Stock gebracht zu werden.
Aber dann wurde mir schnell klar, dass das ein Irrtum war. Ms. Friedman geleitete mich quer durch das Foyer des Ostflügels und auf der anderen Seite wieder hinaus.
Ich hielt den Mund, während wir von einem Gebäude ins nächste gingen, die lange East Colonnade mit ihrem herrlichen Blick auf den Kennedy Garden entlang, bis wir schließlich im Erdgeschoss des Weißen Hauses angekommen waren.
Eigentlich logisch, jetzt, da ich darüber nachdachte. Der Secret Service sorgte vermutlich dafür, dass Mrs. Coyle so wenig wie irgend möglich nach draußen kam. Die Zeiten, wo sie sich in ihrem Büro aufhalten durfte, waren höchstwahrscheinlich auf das Allernotwendigste beschränkt, wenn überhaupt.
Am Fuß der Eingangstreppe mussten wir erneut eine Ausweiskontrolle über uns ergehen lassen. Im Flur des Erdgeschosses noch einmal. Als wir schließlich die Treppe in den ersten Stock bewältigt hatten, schienen die Agenten uns bereits zu erwarten. Sie nickten Ms. Friedman lediglich zu und ließen uns durch.
Im Erdgeschoss hatte die Atmosphäre stark an ein Museum erinnert, aber hier oben fühlte es sich ein bisschen wohnlicher an. Flauschige blau-goldene Teppiche, ein kleiner Stutzflügel, diverse Regale voller Bücher, deren Rücken so aussahen, als seien sie tatsächlich auch gelesen worden.
Und so abgebrüht bin ich auch nicht, dass ich innerlich nicht zumindest ein kleines bisschen in Aufruhr geraten wäre. Ich konnte doch nicht im Weißen Haus herumspazieren, ohne dabei an all die Präsidenten und First Ladys zu
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