Alex Rider 08: Crocodile Tears
gerade gefönt. Darunter lagen wässrige Augen, feiste Backen und wulstige Lippen. Alex war dem Mann erst kürzlich begegnet. Nur wo?
Dann fiel es ihm ein. In Schottland, an Silvester. Der Mann hatte mit Desmond McCain Karten gespielt und Alex hatte ihn für einen Steuerberater gehalten. Wie hatte McCain ihn genannt? Leo. Natürlich! Schlagartig passte alles zusammen. Dieser Leo war Leonard – Leonard Straik.
»Wollen Sie etwas trinken? Tee? Kaffee? Wir züchten den Kaffee selber, aber er schmeckt scheußlich.«
»Für mich nicht, danke.«
Der andere Mann trat ebenfalls ein und machte die Tür hinter sich zu. Alex bekam einen noch größeren Schreck.
Vor ihm stand Desmond McCain.
Hölle auf Erden
» I st die Lieferung fertig?«
Alex erinnerte sich noch gut an McCains Stimme. Sie war nicht laut, aber tief und volltönend und strotzte vor Selbstbewusstsein. Allerdings hatte McCain Schwierigkeiten, das letzte Wort auszusprechen. Es fing mit einem F an, das er mit seinem gebrochenen Unterkiefer nicht richtig bilden konnte. Er hatte sich auf einen der Designersessel gesetzt und kehrte Alex den Rücken zu. Das silberne Kruzifix an seinem Ohr war gerade noch über seiner rechten Schulter zu erkennen. Straik hatte auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz genommen. Die beiden Männer hatten keine Ahnung, dass sich außer ihnen noch jemand im Zimmer befand.
Was für ein Glück, dass Straik offenbar ein Faible für große Bilder hatte. Alex wusste nicht, welches Gemälde der Mann für sein Büro gekauft hatte, aber für ein Versteck reichte es aus. Zusammengekauert saß er in dem dreieckigen Spalt zwischen Bild und Wand. Ein Erwachsener hätte dahinter bestimmt keinen Platz gefunden. Selbst für ihn war es eng. Schenkel- und Schultermuskeln schmerzten bereits und er wäre am liebsten aufgestanden. Er konnte die Umrisse von Leonard Straik und Desmond McCain im Spiegelbild ausmachen, wollte sich aber nicht noch weiter vorbeugen. Wenn er die beiden sah, konnten sie ihn auch sehen.
»Natürlich ist sie fertig«, antwortete Straik. Er klang gereizt. »Ich habe es Ihnen doch versprochen.«
»Und wo ist sie?«
»Der größte Teil lagert in Gatwick Airport. Er geht als Luftfracht raus, in einer Boein g 757. Ganz normaler Flug. Ich habe eine Probe davon behalten, weil ich dachte, Sie würden gern mal einen Blick drauf werfen.« Straik öffnete eine Schreibtischschublade und holte etwas heraus. Alex reckte den Hals, konnte aber nichts erkennen. »Wir haben etwas länger gebraucht als vorgesehen. Es gab Probleme mit der Massenproduktion.«
»Wie viel haben Sie hergestellt?«, fragte McCain.
»Zweitausend Liter. Das müsste mehr als ausreichen. Wichtig ist vor allem, dass die Temperatur während des Flugs konstant gehalten wird. Sie dürfen nicht vergessen, dass dieses Zeug lebt. Allerdings ist es auch ziemlich haltbar.«
»Wie rasch wirkt es?«
»Man bringt es am Morgen aus, dann braucht es anderthalb Tage, bis es richtig loslegt. Anfangs ist natürlich nichts zu merken, aber drei Wochen später spricht die ganze Welt davon.« Straik machte eine Pause. »Sind die Aufnahmen fertig?«
»Ja. Morgen schicke ich Myra nach Elms Cross. Wir machen den Laden dicht. Den brauchen wir jetzt nicht mehr.«
»Es scheint also alles zu klappen.«
»Mein lieber Leo, habe ich es nicht immer gesagt? Der Herr wird ihm vergelten, wie es seine Taten verdienen , schreibt Paulus im zweiten Brief an Timotheus.«
»Schon, nu r …« Straik brach ab.
Es kehrte Schweigen ein. Alex wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, und erstarrte. Er fürchtete, das Geräusch seines Atems oder seine Herzschläge könnten ihn verraten.
»Jemand war in meinem Büro«, sagte Straik.
»Wie bitte?« Es klang wie ein Peitschenknall.
»An meinem Schreibtisc h …« Straik hob etwas auf und Alex wusste, was es war, ohne es zu sehen: Straiks Speicherstick. Er hatte ihn herausgezogen, um Platz für seinen eigenen zu machen, und dann keine Zeit mehr gehabt, ihn wieder hineinzuschieben. »Der war in meinem USB-Anschluss, als ich Sie unten abgeholt habe«, fuhr Straik fort. »Ich habe ihn selbst benutzt. Jemand hat ihn entfernt.«
»Ganz sicher?«
»Natürlich.«
»Vielleicht war es Ihre Sekretärin.«
»Die ist heute nicht da.«
Alex spürte, dass er es nicht mehr lange in seiner zusammengekauerten Stellung aushielt. Er lechzte danach, sich aufzurichten und die Muskeln zu strecken. Ein Gutes hatte sein Versteck allerdings: Es war so klein, dass keiner der
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