Alex Rider 08: Crocodile Tears
Insgesamt schien die Gefahr nicht besonders groß – zumindest noch nicht. Er trug eine Schuluniform und gehörte zu einer Gruppe von Gästen. Wenn er tatsächlich jemandem begegnete, konnte er einfach behaupten, er hätte die anderen verloren. Und wovor hätte er Angst haben sollen? Die vielen Sicherheitsbeamten wirkten vielleicht bedrohlich und das Forschungszentrum beherbergte jede Menge giftige Pflanzen und Tiere, aber damit war noch lange nicht gesagt, dass man hier auch kriminellen Machenschaften nachging. Es sollte lediglich festgestellt werden, ob Straik womöglich ein Sicherheitsrisiko darstellte. Alex’ Aufgabe war simpel. Mehr als eine halbe Stunde würde er dafür kaum brauchen.
Er war trotzdem nervös. An dem blinkenden Lämpchen auf der Karte konnte er ablesen, wohin er sich bewegte. Er ging zunächst in dieselbe Richtung wie seine Klassenkameraden und gelangte zu einem offenen Bereich. Hier trafen sich drei Gänge am Fuß einer Betontreppe, die zum nächsten Stock hinaufführte. Das Lämpchen schien ihn zur Treppe zu leiten. Er stieg ein paar Stufen hoch, hörte Schritte näher kommen und drückte sich flach an die Wand.
Ein Mann und eine Frau in weißen Kitteln tauchten auf. Sie unterhielten sich angeregt und bemerkten ihn nicht. Alex wartete, bis sie verschwunden waren, und eilte weiter nach oben.
Im Inneren erinnerte das Gebäude an eine Schule oder Universität. Wegzeiger wiesen in verschiedene Richtungen, die weiß getünchten Wände waren bis auf Feuerlöscher und einige Schautafeln mit Sicherheitshinweisen völlig kahl. Der erste Stock hatte genau die gleichen Durchgänge und sich kreuzenden Korridore wie das Erdgeschoss. Ohne Smithers’ Lageplan hätte Alex sich nicht zurechtgefunden. Er ging ein Stück in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, und gelangte zu einem verglasten Steg, der zum Nebengebäude führte.
Hier konnte Alex leicht entdeckt werden. Der Steg war etwa zehn Meter lang und von beiden Seiten einsehbar. Auf der Straße darunter verkehrten Elektroautos. Zwei Sicherheitsbeamte marschierten an ihr entlang. Sie trugen im Unterschied zu den Beamten vom Empfang Waffen. Alex erkannte die Micro-Uzi-Maschinenpistolen, die träge baumelnd an ihrer Brust hingen, an der Form. Eine unangenehme Überraschung! Offenbar hatte man die Waffen beim Eintreffen der Schulklasse bewusst versteckt.
Hinzu kam, dass einige Kameras in seine Richtung zeigten. Alex öffnete seinen Rucksack, holte das Federmäppchen heraus und entnahm ihm den Taschenrechner. Die Kameras lahmzulegen, konnte zwar einen Alarm auslösen, aber er hatte keine andere Wahl. Er drückte dreimal die Plus-Taste, vergewisserte sich, dass die Straße leer war, und überquerte den Steg.
Er wusste, dass damit ein Wettlauf gegen die Zeit begann. Die blockierten Kameras würden weitere Sicherheitskräfte auf den Plan rufen, und wenn er jetzt erwischt wurde, war er in Erklärungsnöten. Er rannte zur nächsten Ecke und fuhr zurück, denn im selben Moment ging eine Tür auf und ein Wachmann trat heraus. Im Laufschritt entfernte er sich von Alex.
Alex hatte anscheinend vom akademischen oder administrativen Bereich in ein Gebäude gewechselt, das für leitende Angestellte reserviert war. Auf dem Boden lag ein Teppich und an der Wand hingen Bilder – detaillgetreue Aquarelle verschiedener Pflanzen. Die Deckenleuchten spendeten wärmeres Licht und die Türen waren aus teurem Holz gefertigt. Dem Plan zufolge befand er sich bereits in der Nähe von Straiks Büro. Er kannte auch schon dessen Nummer: 225, das Datum, das Smithers auf die Postkarte geschrieben hatte.
Die richtige Tür kam in Sicht, als Alex am Ende des Gangs um die Ecke bog. Kurz bevor er sie erreichte, hörte er im Erdgeschoss eine Tür schlagen. Eine Stimme rief etwas und Schritte ertönten – eilige Schritte. Ein Telefon klingelte beharrlich, doch niemand nahm ab. Es waren nur Kleinigkeiten, aber Alex hatte das Gefühl, dass sich etwas geändert hatte. Die Kameras arbeiteten nicht mehr und das machte die Sicherheitsbeamten nervös.
War jemand in Straiks Büro? Alex musste es darauf ankommen lassen. Er holte tief Luft und klopfte. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Wenn jetzt jemand »Herein!« rief, war alles umsonst gewesen.
Doch niemand antwortete. Alex seufzte. So weit, so gut. Er holte den Bibliotheksausweis aus dem Mäppchen. Neben den Türen, an denen er vorbeigekommen war, hingen Kartenlesegeräte. Straiks Büro bildete keine Ausnahme. Alex zog seine
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