Alex Rider 4/Eagle Strike
Crays Softwarefirma sahen vor, dass niemand das Gelände betreten oder verlassen durfte, wenn der Alarm ausgelöst worden war. Jeder LKW war mit einem Funksprechgerät ausgestattet und der Wächter am Tor befahl dem Fahrer sofort, umzudrehen und zum Tor zurückzukommen. Der Fahrer fluchte, hielt an, bevor er noch die Ampel erreicht hatte, und wendete mürrisch. Aber es war schon zu spät.
Alex glitt vom Dach, ließ sich auf den Boden fallen und verschwand in der Nacht.
D amian Cray war augenblicklich in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt und saß nun mit einem Glas Milch in der Hand auf dem Sofa. Er hatte bereits im Bett gelegen, als der Alarm ausgelöst worden war, und trug jetzt einen silbern glänzenden Morgenmantel, einen dunkelblauen Pyjama und weiche Frotteehausschuhe. Sein Gesicht sah erschreckend aus: Alles Leben war daraus verschwunden. Nur eine kalte, leere, gläsern wirkende Maske war zurückgeblieben. Über einem seiner starr blickenden Augen pochte eine Ader.
Kurz zuvor hatte Cray feststellen müssen, dass jemand den Flash Drive aus seiner Schreibtischschublade entwendet hatte. Hektisch hatte er alle Schubladen durchsucht, sie wild herausgerissen, umgedreht und ihren Inhalt achtlos über den Boden verstreut. Dann warf er sich mit einem tierischen Aufschrei auf den Schreibtisch, hämmerte rasend vor Wut mit Händen und Füßen auf die Tischplatte und fegte Telefone, Ordner und Fotorahmen in alle Richtungen vom Tisch. Einen Briefbeschwerer schleuderte er mit aller Kraft in den Computerbildschirm. Als der Tobsuchtsanfall endlich vorbei war, ließ er sich auf das Sofa sinken und brüllte nach einem Glas Milch.
Yassen Gregorovich beobachtete Crays Wutanfall gelassen, ohne ein Wort zu sagen. Auch er war aus seinem Zimmer gestürzt, als der Alarm losschrillte, aber im Gegensatz zu Cray hatte er noch nicht geschlafen. Yassen schlief nie länger als vier Stunden. Meistens joggte er nachts oder trainierte im Fitnessraum. Manchmal hörte er klassische Musik. In dieser Nacht hatte er mit einem Kassettenrekorder und einem offenbar häufig benutzten Lehrbuch am Tisch gesessen. Er lernte Japanisch, eine der neun Sprachen, die er beherrschen wollte.
Als Yassen die Sirenen hörte, war ihm sofort klar gewesen, dass Alex Rider entkommen war. Er hatte den Rekorder abgeschaltet und vor sich hin gelächelt.
Jetzt wartete er darauf, dass Cray endlich sein langes Schweigen brach. Er hatte Cray als Erstes aufgefordert nachzusehen, ob der Flash Drive noch in der Schublade lag. Doch das war nicht der Fall, und Yassen war ziemlich sicher, dass Cray ihm die Schuld für den Diebstahl zuschieben würde.
»Er hätte doch ums Leben kommen müssen!«, jammerte Cray. »Und meine Leute haben doch auch behauptet, dass er tot ist!« Er starrte Yassen an, jetzt plötzlich wieder wütend. »Sie wussten, dass er hier drin war!«
»Ich hab’s vermutet«, sagte Yassen.
»Warum?«
Yassen dachte kurz nach, dann sagte er einfach: »Weil er Alex Rider ist.«
»Verdammt noch mal!«, brüllte Cray. »Dann erklären Sie mir doch endlich, wer er ist, dieser Alex Rider!«
»Ich kann Ihnen nicht viel über ihn erzählen.« Yassen starrte gedankenverloren in die Ferne, doch sein Gesicht verriet nichts. »Die Wahrheit über Alex Rider ist, dass es auf der ganzen Welt keinen Jungen wie ihn gibt«, begann er schließlich. Er sprach langsam und leise. »Überlegen Sie nur einmal: Heute Abend haben Sie gleich mehrmals versucht, ihn umzubringe n – nicht einfach mit einem Messer oder einer Kugel, sondern auf eine ganz entsetzliche Weise. Aber der Junge entkommt, findet den Weg hierher zurück. Sieht die Treppe nach oben. In dieser Situation wäre jeder andere Junge, und sogar jeder erwachsene Mann, sofort geflohen. Nach allem, was er hinter sich hatte, hätte er doch nur einen einzigen Gedanken haben könne n – seine Flucht. Aber nicht Alex. Er bleibt stehen, beginnt zu suchen. Das macht ihn so einzigartig, M r Cray, und das ist der Grund, warum er für MI6 so unersetzlich ist.«
»Aber wie hat er es überhaupt geschafft, auf das Gelände und in dieses Haus einzudringen?«
»Keine Ahnung. Wenn Sie mir erlaubt hätten, ihn zu verhören, bevor Sie ihn auf Ihren Abenteuerspielplatz schickten, wüssten wir es jetzt.«
»Das war schließlich nicht mein Fehler, Gregorovich! Sie hätten ihn schon in Südfrankreich umlegen sollen, dort hatten Sie die beste Gelegenheit dazu!« Cray trank einen Schluck Milch und stellte das Glas hart auf den Tisch
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