Alex Rider 5: Scorpia: Alex Riders fünfter Fall
Hatte er noch genug Sauerstoff, um an die Oberfläche zu kommen? Er trat mit den Füßen und schaufelte mit den Händen, kraulte senkrecht nach oben. Wieder machte er die Augen auf in der Hoffnung, irgendein Licht zu sehe n – den Mond, Laterne n … irgendetwas. Und vielleicht war da ein Schimmer, ein weißer Streifen, der sich durch sein Blickfeld zog.
Alex schrie. Luftblasen explodierten an seinen Lippen. Und dann brach der Schrei mit ihm zusammen aus dem Wasser heraus in die Morgendämmerung.
Für einige Sekunden war er mit Kopf, Armen und Schultern im Freien und sog gierig Luft in die Lungen, dann ließ er sich erschöpft zurücksinken. Er schwamm auf dem Rücken, getragen vom Wasser des Kanals, und atmete. Das Wasser lief ihm übers Gesicht. Es mischte sich mit Alex’ Tränen.
Er blickte sich um. Schätzungsweise war es etwa sechs Uhr morgens. Die Sirene heulte immer noch, aber es war kein Mensch zu sehen. Auch gut. Alex trieb in der Mitte des Canal Grande. Er erkannte die Akademie-Brücke, eine undeutliche Form im Dämmerlicht. Der Mond stand noch am Himmel, aber hinter den stillen Kirchen und Palästen stahl sich bereits die Sonne empor und warf ihr fahles Licht über die Lagune.
Alex war so durchgefroren, dass er nichts mehr fühlte. Er spürte nur den tödlichen Griff des Wassers, das ihn hinabzuziehen versuchte. Mit letzter Kraft schwamm er auf eine Steintreppe am Kanalufer zu, auf der dem Witwenpalast gegenüberliegenden Seite. Was auch geschah, dorthin wollte er niemals mehr zurück.
Er trug nur noch die Hose, und die hing ihm in Fetzen von seinem Körper. Die Sandalen hatte er verloren. Aus einer Wunde am Bein quoll Blut und vermischte sich mit dem schmutzigen Wasser des Kanals. Alex war vollkommen aufgeweicht. Er hatte kein Geld, und das Hotel konnte er nur mit dem Zug erreichen. Aber das kümmerte ihn im Moment nicht. Hauptsache, er war am Leben.
Er sah noch einmal zurück. Da stand der Palast, dunkel und still. Die Party war längst zu Ende.
Langsam humpelte er davon.
Eine unerwartete Begegnung
T om saß in der zweiten Klasse des Pendolino, des Schnellzugs von Venedig nach Neapel, und schaute aus dem Fenster. Häuser und Felder huschten an ihm vorbei, und er dachte an Alex.
Natürlich hatte man am Abend zuvor bemerkt, dass Alex fehlte. Zunächst hatte M r Grey angenommen, er habe sich einfach nur verspätet, aber als sein Bett um halb elf immer noch leer war, hatte M r Grey die Polizei alarmiert und dann Alex’ Vormund in London angerufen, Jack Starbright. Jeder in der Brookland-Schule wusste, dass Alex keine Eltern hatte; das war eines der vielen Dinge, die ihn von den anderen unterschieden. Jack war es gelungen, M r Grey zu beruhigen.
»Sie wissen doch, wie Alex ist. Manchmal ist seine Neugier einfach zu stark. Ich danke Ihnen, dass Sie angerufen haben, aber ich bin sicher, er taucht bald wieder auf. Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen.«
Aber Tom machte sich Sorgen. Er hatte beobachtet, wie Alex in der Menge am Witwenpalast verschwunden war, und für ihn stand fest, es war mehr als pure Neugier, was seinen Freund dort hingeführt hatte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Am liebsten hätte er M r Grey alles erzählt. Vielleicht war Alex ja noch im Palast. Vielleicht brauchte er Hilfe. Andererseits hatte er Angst, in Schwierigkeiten zu komme n … und Alex womöglich in noch größere Schwierigkeiten zu bringen, als er sowieso schon hatte. Am Ende sagt er gar nichts. Um halb elf am nächsten Morgen wollten sie das Hotel verlassen. Wenn sie bis dahin immer noch nichts von Alex gehört hätten, wollte Tom ihnen sagen, was er wusste.
Und dann, um halb acht, rief Alex im Hotel an. Er sei schon auf dem Weg nach England, sagte er. Er habe solches Heimweh gehabt, dass er schon früher abgereist sei.
M r Grey nahm den Anruf entgegen. »Alex, das kannst du doch nicht machen. Schließlich bin ich für dich verantwortlich. Als ich dich auf diese Reise mitgenommen habe, habe ich dir vertraut. Ich bin sehr enttäuscht von dir.«
»Es tut mir leid, Sir.« Alex klang unglücklich, und genauso fühlte er sich auch.
»Das reicht mir nicht. Denn du bist schuld, wenn ich in Zukunft nicht mehr mit Schülern auf Klassenreise gehen darf. Du machst den anderen alles kaputt.«
»Das habe ich nicht gewollt«, sagte Alex. »Es gibt da Dinge, von denen Sie nichts wissen. Wenn wir uns in der Schule wiedersehen, werde ich versuchen, Ihnen das zu erkläre n … soweit es mir möglich ist. Es
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