Alex Rider 5: Scorpia: Alex Riders fünfter Fall
davongetragen hatte. Und Alex wirkte auch irgendwie viel älter. In seinen Augen war etwas, das da vorher nicht gewesen war, als habe er Dinge gesehen, die er niemals mehr vergessen würde.
Und jetzt diese Sache in Venedig! Vielleicht hatte Miss Bedfordshire ja doch Recht, und Alex sollte wirklich mal zum Psychiater gehen.
Um sich abzulenken, griff Tom nach seinem Gameboy. Eigentlich hätte er das Buch weiterlesen müssen, und er nahm sich vor, in drei- oder vierhundert Kilometern damit anzufange n … wenn der Zug durch Rom gekommen wäre.
Plötzlich spürte er, dass jemand neben ihm stand, und automatisch begann er, nach seiner Fahrkarte zu suchen. Als er hochblickte, traute er seinen Augen kaum. Alex!
Er trug eine altmodische Jeans und ein weites Hemd, beides mindestens eine Nummer zu groß für ihn. Er war schmutzig, die Haare verfilzt und zerzaust, und er hatte keine Schuhe an. Er sah ziemlich mitgenommen aus.
»Alex?« Tom brachte vor Schreck kaum ein Wort heraus.
»Hi.« Alex zeigte auf einen freien Sitzplatz. »Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«
»Nein. Natürlich nich t …« Tom hatte einen ganzen Tisch für sich allein, und das war auch gut so. Die anderen Passagiere starrten Alex entsetzt an. »Wie kommst du denn hierher? Was ist passiert? Wo hast du diese Sachen her?« Die Fragen sprudelten nur so aus Tom heraus.
»Die Sachen musste ich leider klauen«, gestand Alex. »Von einer Wäscheleine. Nur Schuhe habe ich keine gefunden.«
»Was war denn gestern Abend? Du bist doch in den Palast gegangen. Haben sie dich erwischt?« Tom rümpfte die Nase. »Bist du in ein Klärbecken gefallen oder was?«
Alex war viel zu müde, um auf alle diese Fragen zu antworten. »Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Tom«, sagte er stattdessen.
»Willst du, dass ich dich vor der Polizei verstecke?«
»Du musst mir ein bisschen Geld leihen. Ich konnte mir keine Fahrkarte kaufen. Und ich brauche ein paar vernünftige Sachen zum Anziehen.«
»In Ordnung. Ich habe genug Geld dabei.«
»Und ich muss eine Weile bei dir bleiben. Bei deinem Bruder. Meinst du, das geht?«
»Klar. Jerry hat bestimmt nichts dagegen. Ale x …«
Aber da war Alex schon eingeschlafen. Er sank nach vorn, den Kopf auf die Hände gestützt.
Der Zug nahm Tempo auf, kurvte um den Golf von Venedig und fuhr dann nach Süden.
D er Zug raste immer noch durch die italienische Landschaft, als Alex wieder erwachte. Langsam richtete er sich auf. Nach dem kurzen Schlaf fühlte er sich etwas besser. Venedig und die Erlebnisse der letzten Nacht rückten in immer weitere Ferne. Tom sah ihn aufmerksam an. Auf dem Tisch zwischen ihnen lag etwas zu essen: ein Sandwich, eine Tüte Chips und eine Dose Cola.
»Ich dachte, du hast vielleicht Hunger.«
»Und wie. Danke.« Alex riss die Dose auf. Die Cola war lauwarm, aber das störte ihn nicht. »Wo sind wir?«, fragte er.
»Vor einer Stunde waren wir in Rom. Ich glaube, wir sind bald da.« Tom wartete, während Alex trank. Er ließ sein Buch sinken. »Du siehst grauenhaft aus«, sagte er. »Erzählst du mir, was letzte Nacht passiert ist?«
»Klar.« Schon bevor er in den Zug gestiegen war, hatte Alex beschlossen, Tom alles zu erzählen. Nicht nur, weil er Toms Hilfe brauchte, sondern auch, weil er nicht mehr länger lügen wollte. »Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass du mir glauben wirst.«
»Ich versuche jetzt seit zweieinhalb Stunden, dieses Buch zu lesen und bin erst auf Seite neunzehn. Da hör ich mir lieber an, was du zu erzählen hast, egal was das ist.«
»Na schö n …«
Bis jetzt hatte Alex die Wahrheit über sich nur einem einzigen Menschen erzählt, seiner Freundin Sabina Pleasure. Sie hatte ihm nicht geglaub t – bis zu dem Zeitpunkt, als man sie bewusstlos geschlagen und gefesselt in den Keller des Landhauses geworfen hatte, das dem wahnsinnigen Multimillionär Damian Cray gehörte. Jetzt erzählte er Tom alles, was er auch ihr erzählt hatte: angefangen bei der Wahrheit über den Tod seines Onkels bis zu seiner Flucht aus dem überfluteten Verlies in der Nacht zuvor.
Seltsamerweise machte es ihm richtig Spaß, seine Geschichte zu erzählen. Er prahlte nicht damit, dass er ein Spion war und für den Geheimdienst arbeitete. Im Gegenteil. Viel zu lange war er für MI6 tätig gewesen, und nie hatte er irgendwem erzählen dürfen, was er da machte. Man hatte ihn sogar schriftlich zur Geheimhaltung verpflichtet. Und indem er jetzt die Wahrheit sagte, tat er genau das, was er
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