Alex Rider 5: Scorpia: Alex Riders fünfter Fall
Malagosto. Scorpia schien sich gern hinter einer frommen Maske zu verstecken. Der Boden war mit schwarzen und weißen Steinfliesen ausgelegt. Bunte Glasfenster, eine reich geschnitzte Kanzel, ein paar alte Kirchenbänke. An einer Wand entdeckte Alex die Reste einer Orgel, die nie wieder spielen würd e – einige der Pfeifen waren zerbrochen, andere fehlten ganz. Über ihm wölbte sich die Kuppel, bemalt mit Heiligen, Männern und Frauen, die Gegenstände in den Händen hielten, die traditionell mit ihnen in Verbindung gebracht wurden: Möbelstücke, Schuhe, Bücher, Brotlaibe. Sie alle waren vergessen. Sie alle waren da oben in einem einzigen großen Gruppenbild gebannt.
Die Kirche war mit Elektronik vollgestopft: Computer, Monitore, Lautsprecher, Scheinwerfer und riesige Schalttafeln, die hier absolut fehl am Platz wirkten. Auf Stahlgerüsten links und rechts standen bewaffnete Wachleute. Insgesamt arbeiteten hier etwa zwanzig bis dreißig Menschen, und mindestens die Hälfte von ihnen trug Maschinenpistolen. Während Alex das alles noch in sich aufnahm, dröhnte plötzlich eine Stimme aus den Lautsprechern.
»Noch sechs Minuten bis zum Start. Sechs Minuten, die Zeit läuf t …«
Alex wusste, er war im Zentrum der Operation angekommen, und während er sich weiter umsah, fuhr er sich mit der Zunge über den Gaumen und drückte auf den Schalter, den Smithers in die Zahnspange eingebaut hatte.
Mark Kellner, der Sprecher des Premierministers, hatte die Lage wieder einmal falsch eingeschätzt. Scorpia hatte die Terahertz-Sender keineswegs an irgendeinem hohen Gebäude installiert.
Sondern an einem Heißluftballon.
Sechs Männer in dunklen Overalls waren damit beschäftigt, ihn zu füllen. Auf dem Boden war Platz genug und die Kuppel war so hoch wie ein sechsstöckiges Haus. Der Ballon war aus blau-weißem Material und wäre am Himmel kaum zu sehen. Aber wie wollten sie ihn ins Freie bringen? Durch die Decke? Der Kirchenraum war oben vollständig von der Kuppel abgeschlossen. Und trotzdem, genau das war offenbar ihr Plan. An dem Ballon hing ein Korb mit einem Brenner, der nach oben zeigte, und darunter stand eine etwa zwanzig mal zwanzig Meter große Plattform. Der Ballon sah seltsam altmodisch aus, wie ein Ding aus einem Abenteuerroman des neunzehnten Jahrhunderts. Die Plattform hingegen war aus einem hochmodernen ultraleichten Kunststoff konstruiert. Ein niedriges Geländer schützte die technische Ausrüstung, die darauf bereitstand.
Alex erkannte auf einen Blick, worum es sich handelte. Vier Satellitenschüsseln, eine in jeder Ecke, in alle vier Himmelsrichtungen gerichtet. Matt silbern glänzendes Material, etwa drei Meter im Durchmesser, in der Mitte drei dünne Metallstäbe, die zu einer spitzen Pyramide zusammenliefen. Kabel verbanden die Schüsseln mit einer Reihe kompliziert aussehender Kästen, die in der Mitte der Plattform aufgebaut waren. Neben den Kästen standen Gasflaschen, aus denen durch schwarze Rohrleitungen Propangas mit lautem Rauschen in den Brenner strömte. Der Ballon war schon fast gefüllt. Eben noch hatte er schlaff auf dem Boden gelegen, aber nun leiteten drei Männer mit einem zweiten Brenner noch mehr Heißluft hinein, und er hob sich langsam in die Höhe.
Andere Männer eilten herbei, um die Plattform an allen Seiten festzuhalten. Von dem Ballon hingen zwei Seile, die an im Boden verankerten Eisenringen befestigt waren. Jetzt verstand Alex, was Scorpia vorhatte. Julia Rothman war raffiniert: Sie hatte natürlich vorausgesehen, dass von der Regierung beauftragte Wissenschaftler herausfinden würden, woran die Fußballer am Flughafen Heathrow gestorben waren. Sie hatte gewusst, dass man ganz London nach den Satellitenschüsseln absuchen würde. Deshalb hatte sie die Schüsseln bis zum allerletzten Augenblick versteckt. Der Heißluftballon würde sie in die Höhe tragen. Dort würden sie nur wenige Minuten bleiben. Bis am Boden irgendjemand erkannte, was da geschah, wäre es längst zu spät. Die goldenen Nanokapseln hätten sich aufgelöst, und Tausende von Schulkindern wären tot.
Alex bemerkte, dass Nile seine Jacke ausgezogen hatte und sich etwas auf den Rücken schnallt e – ein Ledergeschirr mit zwei tödlich aussehenden Waffen: nicht ganz Schwerter, nicht ganz Dolche, sondern irgendetwas dazwischen. Alex erinnerte sich daran, wie Dr . Liebermann gestorben war. Nile war ein Meister des Iaido, wie die Ninjas die Kunst des Schwertkampfs nannten. Er konnte mit den Schwertern
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