Alex Rider 6: Ark Angel
verlassenen Hochhaus. Irgendwie spürte er, dass Kaspar und seine Leute gegangen waren; von der anderen Seite der Tür drang absolut kein Geräusch zu ihm herein. Die Stille zerrte an seinen Nerven. Er wusste, der MI6 würde alles in Bewegung setzen und die ganze Stadt nach ihm absuchen, aber dass sie ihn hier jemals finden würden, war praktisch ausgeschlossen. Das Fenster ließ sich nicht öffnen. Er hatte keine Möglichkeit, irgendwen draußen auf sich aufmerksam zu machen. Seine Lage war aussichtslos.
Und dann roch er etwas. Es stieg durch die Holzdielen empor, es kam von irgendwo aus dem Gebäudeinneren. Feuer.
Sie hatten das Hochhaus in Brand gesteckt. Alex wusste es schon, bevor die ersten grauen Rauchschwaden durch die Ritzen unter der Tür zu ihm hereindrangen. Sie hatten Benzin ausgeschüttet und angezündet und ihn hier drin eingemauert – mitten im größten Scheiterhaufen der Welt. Einen Moment lang erfasste ihn Panik – schwarz und lähmend – und drohte all seine Kräfte zu verschlingen. Immer dichterer Rauch quoll unter der Tür hervor.
Alex sprang auf und wich ans Fenster zurück, vielleicht konnte er ja wenigstens die Scheibe einschlagen. Aber auchdas würde ihn nicht retten. Er musste sich zum Nachdenken zwingen, einen Plan fassen. So einfach würde er sich von diesen Fanatikern nicht umbringen lassen. Erst vor elf Tagen hatte ein Auftragskiller ihm eine Kugel ins Herz schießen wollen. Und er lebte noch. So leicht brachte man ihn nicht um.
Aus dem Raum führten nur zwei Wege: die Tür und das Fenster. Beide waren verschlossen. Aber was war mit den Wänden? Die bestanden aus Hartfaserplatten und Gips. In der Wohnung, wo man ihn verhört hatte, waren die Wände herausgeschlagen worden. Vielleicht gelang ihm das hier auch. Prüfend strich er mit den Fingern über eine Wand, tastete und drückte, suchte nach irgendeiner schwachen Stelle.
Sein Hals war schon ganz rau und seine Augen tränten. Immer mehr Rauch drang in das Zimmer. Er trat zurück, holte zu einem Karatetritt aus und ließ den Fuß mit aller Kraft an die Wand krachen. Der Schmerz schoss ihm durchs Bein und in den ganzen Körper. Die Wand hatte nicht mal einen Kratzer abbekommen.
Damit blieb nur noch die Decke. Alex dachte an den Korridor vor dem Zimmer. Da hatten einige Deckenfliesen gefehlt und unterhalb der Rohre und Kabel war eine Lücke zu sehen gewesen. An der Decke in diesem Raum waren dieselben Fliesen.
Und sie hatten ihm einen Stuhl dagelassen.
Den zog er in die Ecke neben der Tür und stellte sich darauf. Der Fußboden war unter dem grauen Rauchteppich schon fast verschwunden, und der Rauch schien nach ihm zu greifen, als wollte er ihn packen und verschlingen. Alex balancierte sich aus, dann stieß er mit dem Handballen nach oben. Die Fliesen waren aus billigen Faserplatten und brachen ziemlichleicht. Er stieß noch einmal zu, dann riss er an den Kanten des Lochs, das er gemacht hatte. Staub und Splitter rieselten auf ihn nieder, sodass er die Augen zumachen musste. Als er wieder aufblickte, sah er über sich einen Hohlraum. Wenn es ihm gelang, sich da hinaufzuziehen, konnte er über die Tür hinwegsteigen und auf der anderen Seite runterspringen.
Er zerrte so viele Fliesen heraus, bis das Loch groß genug für ihn war. Aus der Tiefe des Gebäudes drang ein leises Knistern und Knacken herauf. Das Feuer kam näher. Alex riss sich zusammen und konzentrierte sich auf seinen Plan. Der Stuhl wackelte unter ihm. Er durfte nicht stürzen. Wenn er sich jetzt den Fuß verstauchte, war er geliefert.
Endlich war er so weit. Alex spannte alle seine Muskeln an und sprang. Der Stuhl kippte und fiel krachend um – aber er hatte es geschafft! An ein altes Wasserrohr geklammert hing er jetzt dicht unter der Decke; seine Arme waren in dem Hohlraum über ihm verschwunden. Wieder einmal spürte er schmerzhaft die Nähte in seiner Brust und hoffte inständig, dass sie halten würden. Gott! Seine Physiotherapeuten hatten ihm geraten, regelmäßig Stretchingübungen zu machen, aber er bezweifelte, dass sie dabei an so etwas gedacht hatten.
Alex biss die Zähne zusammen und zog sich unter Aufbietung aller seiner Kräfte nach oben. Sein Gesicht stieß durch ein Spinnennetz, und er schnitt eine Grimasse, als ihm die feinen Fäden an Mund und Nase kleben blieben. Sein Bauch hing an der Kante des Lochs. Er war halb aus dem Zimmer heraus, halb war er noch drin. Vor ihm war der Kriechraum. Unter ihm die Wand mit der Tür. Dicht über ihm
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