Alex Rider 9: Scorpia Rising (German Edition)
Allgemeines Stöhnen war zu hören, dann machten die Schüler sich an die Arbeit.
Alex starrte die Formen an, aber sie verschwammen vor seinen Augen. Die Dreiecke sahen für ihn alle gleich aus, als entstammten sie einem Heft mit Fehlerbildern. Ähnlich war es ihm in der Stunde davor in Englisch mit einer Stelle aus Shakespeares Was ihr wollt ergangen. »Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist …« Oder war es die Liebe zur Nahrung gewesen? Und was bedeutete das überhaupt? Das Denken fiel ihm schwer. Er sah die Wörter auf der Buchseite, aber sie verbanden sich nicht zu Sätzen.
Er legte den Füller weg und ließ die Dreiecke Dreiecke sein. Etwas beschäftigte ihn, und solange er nicht wusste was, konnte er auch keine Aufgaben lösen. In Gedanken ging er noch einmal die Ereignisse des Tages durch. Er war wie immer aufgestanden, hatte geduscht und sich angezogen. Die Hausaufgaben hatte er schon am letzten Abend erledigt, in dieser Hinsicht hatte er ein reines Gewissen. Den Text für die Theateraufführung hatte er gelernt. Geldsorgen hatte er im Moment keine, von seinem wöchentlichen Taschengeld war noch genug übrig.
Dann zum Frühstück nach unten. Und das Gespräch mit Jack. Er hatte gesagt, dass er am Wochenende nicht da sein würde. Genau da war es passiert. Irgendetwas hatte ihr nicht gepasst. Auf seine Frage hin hatte sie es zwar bestritten, aber er hatte es an ihrer Stimme gehört …
Jetzt, wo er darüber nachdachte, fiel ihm auch auf, dass sie in den vergangenen Wochen weniger Zeit miteinander verbracht hatten. Vor lauter Hausaufgaben, Schultheater, Rudern, Fußball und so weiter gab es Tage, an denen sie kaum ein Wort wechselten. Er schämte sich plötzlich. Jack war immer für ihn da und kümmerte sich um ihn. Aber jetzt hatte sie vielleicht den Eindruck, dass sie ihm egal war.
Er blickte aus dem Fenster. Auf der anderen Seite der Straße befand sich eine Baustelle. Dort wurde ein Wohnblock errichtet. In der Schule wurden schon Witze darüber gerissen, wer wohl in eine Wohnung mit Blick auf Hunderte von Schülern einziehen wollte – ganz zu schweigen von dem Lärm von halb neun Uhr morgens bis Viertel vor vier nachmittags. Heute war die Baustelle leer. Die Arbeiter schienen nur nach Lust und Laune zu kommen. Doch dann sah Alex einen Mann geduckt über das Dach eilen. Über seinem Rücken hing eine Tasche.
Was sollte er nur wegen Jack unternehmen? Er fasste einen Entschluss. Heute Abend würde er mit ihr sprechen. Er würde ihr sagen, dass er ohne sie verloren war und dass er sie nicht weniger brauchte als bisher. Natürlich wusste sie das selbst, aber es konnte trotzdem nicht schaden, es ihr zu sagen. Und er brauchte ja nicht das ganze Wochenende mit Tom zu verbringen. Vielleicht konnte er am Sonntagnachmittag zurückkommen und sie besuchten noch gemeinsam den lokalen Markt oder etwas Ähnliches. Ein wenig beruhigt wandte Alex seine Aufmerksamkeit dem ersten Dreieck zu. Es hatte einen rechten Winkel, neunzig Grad. Die anderen beiden Winkel waren deutlich verschieden … also waren hier keine fünfundvierzig Grad zu finden. Damit schied das Dreieck aus. Weiter zum nächsten …
Drei Tische vor ihm zielte ein magerer Junge mit rotblonden Haaren namens Spencer mit einem Radiergummi-Geschoss auf einen Klassenkameraden in der ersten Reihe. Er hatte den Radiergummi auf ein Plastiklineal gelegt und bog es gerade zurück. Dann ließ er es los und das Geschoss flog durch den Raum. Es verfehlte den Jungen in der ersten Reihe und prallte stattdessen gegen die Wand. Jemand kicherte.
Mr Donovan hatte Spencer gesehen. »Wenn du weiter zu den Besten gehören willst, Spencer, benimm dich nicht wie ein Fünftklässler. Verstanden?« Er klang weniger verärgert als müde.
»Ja, Sir.«
»Noch zwei Minuten. Ihr solltet jetzt mit allem fast durch sein.«
Alex hatte erst ein Dreieck geschafft. Es ging ihm auf einmal gar nicht gut. Er schwitzte, obwohl es im Klassenzimmer nicht heiß war. Stirn und Nacken waren nass, als hätte er Fieber. Der Kopf dröhnte ihm und das Atmen fiel ihm schwer. Was war nur mit ihm los? Es war elf Uhr vormittags. Er hatte noch nicht zu Mittag gegessen, die Schulmensa traf also ausnahmsweise einmal keine Schuld. Ihm tat die Brust weh. Die alte Wunde pochte wie eine Art biologische Zeitschaltuhr, die mit einem Mal losgegangen war. Als wollte sie ihn an etwas erinnern …
Oder vor etwas warnen.
Der Mann auf dem Dach! Alex sah sich plötzlich wieder in der Liverpool Street aus dem Gebäude des
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