Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
meist nur etwa fünfzig bis sechzig gekommen, sagte der schwarze Sklave. Dymas hob die Schultern; eigentlich bekümmerte es ihn kaum. Er hatte zu essen und zu trinken, ein Bett, konnte Musik machen, wie es ihm und den Zuhörern gefiel, brauchte sich weder um Priester noch um Kunstrichter zu scheren und blieb von Anfragen seiner fernen Auftraggeber verschont. Die Stadt langweilte ihn, wenn er sich auf Erkundungsgänge begab– die zahllosen Tempel, die Lager, die Niederlassungen der Handelshäuser, die Häuser der Reichen auf dem künstlichen Hügel im Schwemmland, weiter draußen die Gärten, die Äcker, dann der Schilfdschungel, all dies unterschied Naukratis kaum von tausend anderen Städten. Die Priester in ihrer Vielzahl hatten genug damit zu tun, sich und die Tempel zu hegen; sie kümmerten sich nicht um reisende Musiker. Die Niederlassung des Handelshauses des Demaratos, geleitet von einem jüngeren Korinther namens Nikarchos, sah aus wie alle anderen Handelsstätten, und Nikarchos schien keine Ahnung von den besonderen Beziehungen zwischen Dymas und Demaratos zu haben. Manchmal kam er abends in die Schänke, um gesottene Flußfische zu essen, das feine ägyptische Bier zu trinken und der Musik zu lauschen.
Auch die ärmeren Viertel hatten kein eigenes Gesicht; zu viel wurde jedes Jahr vom Nil überflutet und weggeschwemmt, neu errichtet und wieder verspült. Die drei trägen Monde nach Jahren der Wanderschaft erschienen Dymas wie jäher Stillstand; zunächst erholsam, später immer zäher und öder.
Manchmal spielte er abends den Doppelaulos, eher um das Instrument nicht zu verlernen, für das er aus Nilschilf große Vorräte an Zungenblättchen schnitt. An schwülen Nachmittagen saß er oft unter einer Zypresse am Fluß, nördlich der Stadt, schnitt ältere, harte Schilfhalme zurecht, bohrte Grifflöcher hinein und versuchte, eine Einrohr-Flöte mit sechs Tonlöchern (und einem für den Daumen) zu entwickeln. Meistens spielte er die Kithara, sein selbstgefertigtes, schmuckloses Instrument mit dem großen Schallkasten und elf Saiten. Vier dienten zur Verstärkung der Töne, indem sie mitschwangen, wenn er auf den übrigen sieben die entsprechenden Punkte griff und über dem Schallkasten anschlug. Alle wurden mit dem karchedonischen Schlüssel gestimmt und saßen auf Eisenwirbeln. Der Umfang war groß; sechsmal kehrte auf tieferer Ebene der höchste erreichbare Ton wieder. Mit den metallbesetzten Fingerkuppen der Linken, der scharfen Stimmung und den guten Därmen war es ihm längst gelungen, das Schnarren und die Dumpfheit gegriffener Saiten zu überwinden und bis zu fünf Töne gleichzeitig zu erzeugen, dazu zwei leere Saiten zu berühren und die vier freien mitschwingen zu lassen.
Eines Nachmittags hatte er wieder unter der Zypresse gesessen, gelegen und wieder gesessen; die Halbhellenin aus der Schänke wollte von ihm keine eineinhalb Obolen, sondern Musik. Er spielte auf der unbefriedigenden neuen Rohrflöte; noch immer stimmte etwas mit den Abständen und der Größe der Löcher nicht. Vom Fluß her hörten sie den schwermütigen Gesang von Ruderern, die einen Getreidekahn stromauf trieben. Das Lied bestand aus sechs Tönen in seltsamen Sprüngen aufwärts und abwärts, die immer wiederkehrten. Die Worte, bis zur Bewußtlosigkeit wiederholt, lauteten auf Ägyptisch:
Totentanz Ruderhand
fahr ich zur Unterwelt
ruh ich mich endlich aus
brech ich den Rudergriff
tanz ich den Totentanz
Totentanz Ruderhand …
Als sie zum Hafen zurückkehrten, sahen sie, daß der Getreidekahn am anderen Ufer festgemacht hatte. Diesseits, genau gegenüber, lag ein prachtvolles Schiff mit Verzierungen aus Ebenholz und Elfenbein. Der Bug war der aufwärts gebogene Kopf einer gräßlichen Seeschlange, mit offenem Maul, das Heck ein lächelndes Krokodil mit blutroten Zähnen. In der Mitte, hinter dem umzulegenden Mast, stand eine schilfgedeckte Hütte aus dünnem polierten Zedernholz, bemalt mit ägyptischen und hellenischen Götterbildern. Die Besatzung– sieben kräftige Nubier– räumte das Deck auf, goß den Restinhalt von Wasserbehältern in den Fluß, rollte Taue ein und aus. Ein hellhäutiger Mann, etwa in Dymas’ Alter, stand an der Bordwand und starrte in den lehmigen Strom, mit einem Ausdruck unendlicher Schwermut: Sehnsucht nach dem endgültigen Krokodil. Aus dem Zedernholzhäuschen drang die keifende Stimme einer Greisin, dann das kehlige, besänftigende Gurren einer jungen Schwarzen.
Abends hatte Dymas eben
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